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Der Achtpfad
 

Ein Vortrag von

Santuṭṭho Bhikkhu

Auszug vom September-Seminar 2022

Der Buddha
British-Museum, London

 

Die Zahl Acht

Es dürfte allgemein bekannt sein, dass sich hinter der Nr. 8 in Stadel etwas verbirgt. Allerdings nichts Esoterisches. Andererseits gibt es ja keinen Zufall.

In der Ikonografie, also der Lehre von der bildhaften Bedeutung, ist die Acht weiblich. Warum, ist mir unbekannt. Sie steht auch für Mutterschaft. Außerdem für Perfektion als auch Glück. Des Weiteren steht die Acht für Gerechtigkeit und Ausgeglichenheit zwischen Anziehung und Abstoßung, d.h. Zu- und Abneigung, also positiv/negativ, wie es man im Chinesischen für Yin und Yang sagt. Die Acht ist die erste Kubikzahl [23]. Im Pāli heißt es aṭṭha und bezeichnet "Achtheiten" wie z.B. den Pfad und Tugendregeln für den Feiertag (uposatha). Es gibt aber auch die zweite Übersetzungsmöglichkeit mit "Bedeutung", "Sache" und "Art und Weise". Wichtig ist, dass man aṭṭha richtig schreibt und auch ausspricht. Ganz ähnlich klingen da nämlich aṭṭa (1. Aussichtspunkt, Gerüst; 2. Prozess, Verfahren; 3. gepeinigt, heimgesucht); atha (doch, und weiter, dann, ferner usw.) und atta (1. Seele, Ichheit, Selbst; 2. selbst, eigen; als auch ergriffen, genommen).

Der edle achtfache Pfad

Man kann durchaus auch achtspuriger Weg sagen.
Und das sind die acht Teile in Pāli und Deutsch:
sammā vācā - Rechte Rede
sammā kammanta - Rechtes Tun
sammā ājīva - Rechter Lebenserwerb
sammā vāyāma - Rechte Anstrengung
sammā sati - Rechte Achtsamkeit
sammā samādhi - Rechte Konzentration
sammā diṭṭhi - Rechte Ansicht
sammā saṅkappa - Rechte Gesinnung

Üblicherweise teilt man in die drei Komplexe Sīla, Samādhi, Paññā ein. Aber warum nur? Wie manche bereits erkannt haben, hat man in der buddhistischen Lehre beizeiten angefangen, die Lehrinhalte zu schematisieren, d.h. in Kategorien einzuteilen. Diese werden dann in Listen gefasst, die man dann ganz nach Belieben mal mit mehr mal mit weniger erkennbarem Sinn miteinander in Zusammenhang bringt bzw. kombiniert.

Unbestritten bleibt allerdings im Falle des achtfachen Pfades, dass Tugend die Grundlage ist, weil nämlich ohne Ethik "alles" vergeblich ist. ;am sagt ja nicht umsonst: "ein ruhiges Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen." Und Gewissensruhe ist die Grundvoraussetzung, dass Erkenntnis aufsteigen kann.

Im Visuddhimagga, einem nichtkanonischen Werk von Buddhaghosa findet man folgende Darstellung:
1. Kurz gesagt: "Rechte Erkenntnis" ist das Auge der Einsicht, das dem in die Durchdringung der vier Wahrheiten eingetretenen Schulungbeflissenen eignet und das, das Nirwahn zum Objekte habend, den Trieb der Unwissenheit zerstört. Rechte Erkenntnis hat als Merkmal das rechte Erkennen, als Wesen das Offenbar machen der Daseinselemente, als Äußerung die Vertreibung der Finsternis und der Unwissenheit.
2. Als "Rechte Gesinnung" gilt bei dem von solcher Erkenntnis Erfüllten das Richten des Geistes auf das Nirwahngebiet, jenes Richten des Geistes, das mit der Erkenntnis verbunden ist und die verkehrte Gesinnung vernichtet. Rechte Gesinnung hat als Merkmal das rechte Richten des Geistes, als Wesen das Festigen, als Äußerung die Überwindung der verkehrten Gesinnung.
3. Bei einem also Erkennenden, also Gesinnten, gilt das mit rechter Gesinnung verbundene und das böse Wirken in Worten vernichtende Sichzurückhalten von verkehrter Rede als "Rechte Rede". Die rechte Rede hat als Merkmal das Ansichfesseln, als Wesen das Sichzurückhalten (von verkehrter Rede), als Äußerung die Überwindung verkehrter Rede.
4. Bei dem sich also Zurückhaltenden aber gilt das mit jener (rechten Gesinnung) verbundene und das verkehrte körperliche Wirken zerstörende Sichzurückhalten vom Töten u. dgl. als "Rechte Tat". Diese hat als Merkmal das Entstehenlassen, als Wesen das Sichzurückhalten, als Äußerung die Überwindung der verkehrten Tat.
5. Als "Rechter Lebenserwerb" aber gilt das mit der Lauterkeit rechter Rede und Tat verbundene und solche Dinge wie Betrügerei u. dgl. zerstörende Sichzurückhalten von verkehrtem Lebenserwerb. Der rechte Lebenserwerb hat als Merkmal die Lauterkeit, als Wesen die Ausübung eines rechtschaffenen Lebenserwerbs, als Äußerung die Überwindung des verkehrten Lebenserwerbs.
6. Wer aber auf dem durch rechte Rede, rechte Tat und rechten Lebenserwerb gebildeten Boden feststeht, bei dem gilt die dieser Sittlichkeit angepasste und damit verbundene und die Trägheit zerstörende Willensanstrengung als die "Rechte Anstrengung". Diese hat als Merkmal das Vorwärtsstreben; als Wesen das noch unaufgestiegene Unheilsame nicht aufsteigen zu lassen usw. als Äußerung die Überwindung der verkehrten Anstrengung.
7. Bei dem sich also Anstrengenden aber gilt das mit dieser Anstrengung ver-bundene und die verkehrte Achtsamkeit abschüttelnde geistige Unverwirrt-sein als die "Rechte Achtsamkeit". Diese hat als Merkmal das Gegenwärtig-halten, als Wesen das Freisein von Gedankenlosigkeit, als Äußerung die Überwindung der verkehrten Achtsamkeit.
8. Bei dem durch solche unübertroffene Achtsamkeit geistig Bewachten gilt die mit dieser Achtsamkeit verbundene und die verkehrte Sammlung zerstörende geistige Einspitzigkeit als die "Rechte Sammlung". Diese bat als Merkmal das Nichtzerstreutsein, als Wesen das Festigen, als Äußerung die Überwindung der verkehrten Sammlung.

Ñāṇatiloka, der Übersetzer, macht dazu folgende Aussage:
Als erstes sei darauf hingewiesen, dass dieser sog. 'Pfad' genau genommen überhaupt gar kein Pfad ist, d.h. ein Pfad auf dem man etappenweise vorwärts schreitet, bis man nach sukzessiver Durchlaufung aller 8 Stationen schließlich am Ziele, dem Nirwahn, anlangt - eine Ansicht, die man bei den meisten buddhistischen Autoren antrifft.

Wenn dem wirklich so wäre, dann müsste man eben als allererstes rechte Erkenntnis und Wahrheitsdurchschauung verwirklicht haben, bevor man daran denken könnte, rechte Gesinnung, rechte Rede usw. zu erreichen, und jedes frühere Pfadglied bildete für jedes spätere die notwendige Grundlage.

In Wirklichkeit aber werden die die Sittlichkeit bildenden Glieder 3-5 als erstes zur Vollendung gebracht, dann die als Geistesschulung oder Sammlung geltenden Glieder 6-8, und zu allerletzt die das Wissen ausmachenden 2 ersten Glieder. Der den übrigen Gliedern eine feste Stütze bietende wichtige Bestandteil ist allerdings die rechte Erkenntnis, die vom keimhaften Verständnis ab sich ganz allmählich bis zum höchsten Hellblick entwickelt und die unmittelbare Bedingung bildet zum Eintritt in die 4 überweltlichen Stufen der Heiligkeit und zur Verwirklichung des Nirwahns. Nur im Falle dieses überweltlichen Hellblicks sind alle übrigen Glieder als bloße Symptome, Begleiterscheinungen oder Äußerungen der Erkenntnis zu werten.

Was den weltlichen Pfad aber anbetrifft, kann derselbe auch ohne das erste Glied, rechte Erkenntnis, aufsteigen.

Das sind eine Menge Informationen, und man muss gewaltig aufpassen, wenn man anfängt, zu kritisieren, um nicht selber weitere Verwirrung zu stiften. Ñāṇatiloka hat Nibbāna mit seiner eigenen Wortschöpfung "Nirwahn" übersetzt, was soviel bedeuten soll, wie "nicht-mehr-Wahn", die Aufhebung der zugrundeliegenden Tendenz der Verblendung, was so aber nicht ganz stimmt, denn die Aufhebung von Unwissenheit, d.h. der Verblendung ist nur ein Aspekt. In den urbuddhistischen Texten (z.B. in AN X,60) wird Nibbāna umschrieben mit: "Das ist der Frieden, das ist das Erhabene, nämlich der Stillstand aller Daseinsgebilde, die Entledigung von allen Daseinssubstraten, die Gierversiegung, die Erlöschung."

Des Weiteren übersetzt er sammā diṭṭhi mit rechter Erkenntnis, was nicht korrekt ist, denn für Erkenntnis wird im Pāli stets das Wort paññā verwendet. Diṭṭhi hingegen steht für "Ansicht", "Sichtweise" usw. Meist wird damit die falsche Ansicht bezeichnet, was sich aus dem Kontext heraus aber leicht erkennen lässt.

Meiner unmaßgeblichen Meinung nach, muss man ihm aber in seiner Aussage zustimmen, dass der Achtpfad kein Stufenweg ist, denn man kann durchaus die einzelnen Aspekte separat entwickeln - aber um "etwas" zu erreichen, muss ein Minimum einer gesunden Mischung von allen erreicht werden. Man sollte also je nach Gelegenheit bzw. Erfordernis die Pfadglieder entwickeln bzw. entfalten. Dazu muss man diese aber erstmal kennen. Hier sticht mal wieder der Faktor Achtsamkeit (sati) heraus. Achtsam bzw. aufmerksam kann bzw. sollte man eigentlich immer sein. Das ist nie verkehrt.

Aber was von den acht ist am Wichtigsten? Womit fängt "alles" an? Rechte Ansicht (sammā diṭṭhi) ist der Anfang, d.h. ein Minimum an Erkenntnis, was "richtig" ist, steht als Hauptfaktor als Grundlage als Grundvoraussetzung ganz am Anfang. In MN 9 handelt eine ganze Lehrrede davon. Das scheint ein Widerspruch zur bisher geglaubten Reihenfolge zu sein, wonach ja die Reihenfolge Tugend, Geistesruhe, Erkenntnis lautet. Aber um Rechte Tugend (sīla) zu entwickeln, muss man ja erstmal erkennen, was das ist. Daher steht eben die Rechte Ansicht normalerweise am Anfang, und nicht die Ethik, denn mit dem Minimum an Geistesblitz erkennt man, dass Tugend die Grundvoraussetzung ist, worauf sich die anderen Faktoren gründen.

In AN V,24 gibt es dazu die Lehrrede "Eins aufs andere gestützt", worin es heißt: "Im Sittenlosen, ihr Mönche, dem Sittlichkeit mangelt, ist die rechte Sammlung ohne Grundlage. Ist aber keine rechte Sammlung da, so ist in ihm, dem rechte Sammlung mangelt, der wirklichkeitsgemäße Erkenntnisblick ohne Grundlage. Ist aber kein wirklichkeitsgemäßer Erkenntnisblick da, so sind in ihm, dem wirklichkeitsgemäßer Erkenntnisblick mangelt, Abwendung und Loslösung ohne Grundlage. Ist aber keine Abwendung und Loslösung da, so ist in ihm, dem Abwendung und Loslösung mangeln, der Erkenntnisblick der Erlösung ohne Grundlage."

In AN VII,61 werden zuvor noch Scham und Scheu (hiri, ottappa) zur Sinneszügelung vorangestellt.

In AN X,1+2+3 wird gezeigt, wie Sīla die Grundlage ist für die Bojjhaṅgā bis hin zum Erkenntnisblick der Erlösung.

In AN X,15 ist Strebsamkeit aller Dinge Anfang - a.a.O. ist es der Entschluss.

Die Reihenfolge in der singhalesischen Kultur lautet allerdings Dāna-Sīla-Bhāvanā, d.h. Geben, Tugend, Meditation.

Aber warum wohl? Ohne Dāna kein Dhamma - ganz einfach. Vom Geben, bzw. von den Gaben ist der/die Lehrer/In abhängig. Das ist eine Art gewollter Abhängigkeit. Immerhin ist dāna + cāga das erste Pāramī, d.h. die erste der Vollkommenheiten. Im Cariyapiṭaka-Kommentar steht dazu:
Geben wird am Anfang erwähnt: (a) weil das unter allen Wesen üblich ist, sogar die einfachen Leute praktizieren das Geben; (b) weil es das am meisten Fruchtbringende ist; und (c) weil es am einfachsten zu praktizieren ist.
oder:
Geben hat die Eigenschaft des Aufgebens; seine Funktion ist, die Gier nach Dingen zu vertreiben, die weggegeben werden können; seine Manifestation ist das Nicht-Anhaften, oder die Erreichung von Wachstum und ein günstiger Zustand des Daseins; ein Objekt das aufgegeben werden kann, ist dessen unmittelbare Ursache.

Was ist aber nun "Sīla"?

Sīla, das lässt sich ganz allgemein am besten mit "Ethik" übersetzen. Der erste deutsche Mönch, Ñāṇatiloka, schreibt dazu in seinem durchaus empfehlenswerten "Buddhistischen Wörterbuch" auf S. 210:
Sittlichkeit, das ist die in Worten oder Werken sich äußernde edle Geistes- und Willensverfassung. Sie bildet die Grundlage der ganzen buddhistischen Praxis und die erste der drei Schulungen oder den achtfachen Pfad bildenden 3 Gebieten, nämlich Sittlichkeit, Sammlung, Wissen.
Sīla ist nicht, wie es nach der negativen Ausdrucksweise der Suttentexte ('Abstehen' von verkehrten Worten und Werken usw.) erscheinen mag, etwas Negatives, und besteht nicht in dem bloßen Nichtstattfinden von üblen Werken und Worten, sondern es ist das jedes Mal klarbewusste und gewollte Sichzurückhalten davon aufgrund der gleichzeitig aufsteigenden edlen Willens- und Geistesverfassung.
Die Sittlichkeit des Achtfachen Pfades gilt als die eigentliche oder 'natürliche' Sittlichkeit, im Gegensatz zu der in äußeren Ordensvorschriften bestehenden 'vorgeschriebenen' Sittlichkeit.

Dann zitiert er aus MN 78: "Was aber ist die karmisch heilsame Sittlichkeit? Es ist heilsames körperliches Wirken, heilsames sprachliches Wirken und auch die Reinheit hinsichtlich des Lebenserwerbes nenne ich Sittlichkeit."

In DN 16 heißt es: "Von Sittlichkeit durchdrungen bringt die Geistessammlung große Ergebnisse und Vorteile. Von Geistessammlung durchdrungen bringt die Weisheit große Ergebnisse und Vorteile. Von Weisheit durchdrungen wird der Geist völlig von allen Trieben befreit."

Dass Ordinierte deutlich mehr Vorschriften zu befolgen haben, also eine etwas ausgefeiltere Art von Tugend zu befolgen haben, ist ja bekannt. Aber wenn man all die Regeln mal genauer untersucht, wird man zweifellos feststellen, dass man die durchaus auf 5 Vorschriften reduzieren, "eindampfen" kann, ja sogar auf nur 3, denn man muss sich einfach nur vergegenwärtigen, dass unheilsames Handeln, Sprechen und sogar Denken eben - rein karmisch betrachtet - unheilsame Folgen (vipāka) haben wird. Und genau hier ist der ehrw. Ñāṇatiloka konstruktiv zu kritisieren, weil er das Denken nicht erwähnt. Der Buddha hat aber deutlich genug darauf hingewiesen, dass der Geist allem voraus geht (Dhp 1). Was man häufig im Geist bedenkt, das spricht man irgendwann mal aus. Was man häufig genug ausgesprochen hat, das tut man irgendwann auch. Auf diese Weise wird aus einem Gedanken eine Tat - und bereits der Gedanke hat dem "karmischen Konto" etwas hinzugefügt. Um wieviel mehr ist es dann bei Worten oder gar Taten?

In AN V,178 steht außerdem noch:
"Was meint ihr, habt ihr wohl jemals gehört, dass, weil einer vom Töten / Dieb-stahl /geschlechtlicher Ausschreitung / Lügen / Genuss von Rauschmitteln absteht, sich des Tötens / Diebstahl /geschlechtlicher Ausschreitung / Lügen / Genuss von Rauschmitteln enthält, die Fürsten ihn festnehmen und ihn wegen seines Abstehens vom Töten hinrichten oder gefangen setzen oder verbannen oder sonst nach Belieben mit ihm verfahren?" - ... - "Auch ich habe niemals solches gesehen oder gehört. Doch sobald von einem Menschen eine solche Übeltat bekannt wird, dass er einen Mann oder ein Weib des Lebens beraubt hat, dass er im Dorf oder im Wald sich Nichtgegebenes in diebischer Absicht angeeignet hat, dass er geschlechtliche Ausschreitung begangen hat gegen Frauen oder Mädchen anderer, dass er durch seine falsche Aussage einem Hausvater oder dem Sohn eines Hausvaters Schaden zugefügt hat, dass er infolge des Genusses von Rauschmitteln einen Mann oder eine Frau getötet hat, oder dass er im Dorf oder im Wald sich Nichtgegebenes in diebischer Absicht angeeignet hat; oder dass er sich an den Frauen oder Mädchen anderer vergangen hat; oder dass er einem Hausvater oder dem Sohn eines Hausvaters durch falsche Aussage Schaden zugefügt hat, dann nehmen ihn die Fürsten fest, und wegen des Mordes - wegen des Diebstahls - wegen seiner geschlechtlichen Ausschreitungen - wegen seiner falschen Aussage - infolge seines Genusses von Rauschmitteln lassen sie ihn hinrichten, gefangen setzen, verbannen oder verfahren mit ihm sonst nach Belieben."

Im Prinzip verweist der Buddha hier "nur" auf die möglichen Folgen übler Worte und Taten. Aber der Wert von "rechter Ansicht" im Sinne von Erkenntnis, was heilsam ist und was nicht, wird nicht einmal ansatzweise erwähnt. Schade. Denn Tugend, die sich auf Androhung von entsprechenden unliebsamen Folgen beruft, ist irgendwie halbherzig. Außerdem sind Vorschriften bzw. Gesetze etwas künstlich Geschaffenes, also eher keine natürliche Sittlichkeit. Es gibt bekanntermaßen ja auch Staaten, das ist es keine Sünde, die sog. "Ungläubigen" zu betrügen, zu belügen oder sie gar umzubringen. Und wer in solch einem Umfeld aufwächst, wie soll derjenige zur Ansicht bzw. Einsicht gelangen, dass sein Denken, Reden und Handeln unheilsam ist?

Im Cp-Kommentar steht dazu:
Tugend wird unmittelbar nach dem Geben erwähnt: (a) weil die Tugend beide läutert, den Geber und den Empfangenden; (b) um das zu zeigen, während das Geben anderen nützt, verhindert die Tugend die Kümmernisse der anderen; (c) um auf diese Weise einen Faktor des Enthaltens zu nennen, der unmittelbar nach einem Faktor von positivem Handeln folgt; und (d) um auf diese Weise die Ursache für das Erreichen eines günstigen Zustandes in einer zukünftigen Existenz zu zeigen, gleich nach der Ursache für das Erlangen von Reichtum.
Tugend hat die Eigenschaft des Ordnens
(sīlana); Koordinieren (samādhāna) und Errichten (patiṭṭhāna) werden ebenfalls als deren Eigenschaften erwähnt. Ihre Funktion ist es, moralische Verderbtheit zu zerstreuen, oder ihre Funktion ist tadelloses Verhalten; ihre Manifestation ist moralische Reinheit; Scham und moralische Furcht sind ihre unmittelbare Ursache.

Noch eine Anmerkung zum gern gebrachten Einwand, dass der Hang an Regeln und Riten eine der drei (niederen) Daseinsfesseln sei. Vor allem die Gegner der vielen Vorschriften verwenden dieses Argument, um sich als "Liberale" (Befreite) zu bezeichnen, die die Ordensregeln nicht zu befolgen brauchen. Dass diese Einstellung höchst fragwürdig ist, muss wohl nicht extra erwähnt werden.

Im Übrigen gilt die Reinheit der Tugend nicht umsonst als die erste Stufe der Reinheit, die es zu meistern gilt, um sich in Richtung "Erlösung", d.h. "Erleuchtung" zu entwickeln. Im Visuddhimagga, der übrigens nicht kanonisch ist, hat im ersten Teil allerlei Wissenswertes in Sachen Tugend (sīla) zu bieten.

Alles in Allem kommt unter'm Strich heraus: Ethik ist wichtiger als Religion.

Nun zu den drei Teilen des Achtfachen Pfades, die unter Sīla zu rechnen sind:
Da haben wir als Erstes: sammā vācā - die Rechte Rede.
Darunter zählt laut MN 141 das Vermeiden von Lüge, Hinterbringen, rohe Rede und törichtes Plappern. Laut DN 22 ist Lüge vermeiden, Verleumdung vermeiden, barsche Worte vermeiden, Geschwätz vermeiden, rechte Rede. Wenn man also nichts sagt, pflegt man automatisch "Rechte Rede". Daher wird wahrscheinlich auch so viel Wert auf das "edle Schweigen" gelegt. Man sagt ja nicht umsonst "Wer nichts macht, macht nichts verkehrt". Stimmt das? Hier nur ganz dezent der Hinweis auf die unterlassene Hilfeleistung, dass Schweigen als Lüge gewertet wird und darauf, dass Schweigen oft als Zustimmung bzw. Eingeständnis zu werten ist.

Das Gegenteil zur rechten Rede dürfte jedem klar sein, aber da muss man noch die "Selbstlüge" im Gegensatz zur Selbstverleugnung hinzu fügen. Oft wird nur die Lüge als üble Rede (musāvāda) genannt. Aber darunter muss man nicht nur das Belügen Anderer verstehen, sondern auch das Belügen von sich selber, was weitaus häufiger vorkommt. Auch die "Halbwahrheit" als Mittel zum Zweck fällt sicherlich unter die üble Rede. Dann der abrupte Themawechsel, das Ausweichen, d.h. "Herumeiern", dann das sog. Totschlag-Argument. Nicht zuletzt dann noch die Notlüge. Soll man aber lieber lügen, als jemandem zu "schaden"? Auch Hintertragen, Zwietracht säen, Verleumden, Tatsachen verschleiern, Vertuschen, Ausflüchte machen, abfällige Rede, Beleidigung, zynische Äußerungen, Sarkasmus, Ironie, schamlose Rede, der "Schweinkram", Zoten, "schlechte Witze", Stichelei, Hänselei, zwei- oder mehrdeutige Aussagen, Schauspielerei, d.h. etwas vormachen, Unterhaltung, "Small-talk", Plappern, Schwatzen, ja sogar das Schweigen als Ausdrucksform ist "üble Rede" und im Vinaya, also den Ordensvorschriften zählt es als Lüge. Zitat aus der Vorrede zum Pātimokkha: "Welcher Mönch auch immer, während es bis zu drei Mal ausgerufen wird, sich an ein vorliegendes Vergehen erinnert, und es nicht offenbart, begeht eine bewusste Lüge. Ehrwürdige, eine bewusste Lüge wurde vom Erhabenen als behindernder Umstand bezeichnet. Deshalb soll ein Mönch, der sich erinnert, ein Vergehen begangen zu haben und um Reinheit besorgt ist, jenes vorliegende Vergehen offenbaren. Ist es offenbart, wird es für ihn erleichternd sein."

Übrigens ist falsch Rezitieren Verfälschen und demnach auch unter "üble Rede" zu rechnen.

Laut AN III,28 gibt es dreierlei Rede: Da spricht jemand um seiner selbst willen oder um eines anderen willen oder um irgend eines kleinen Vorteils willen eine bewusste Lüge. Oder er spricht er weder um seiner selbst willen, noch um anderer willen, noch um irgend eines kleinen Vorteils willen eine bewusste Lüge. Oder aber er hat rohe Worte verworfen, hält sich von rohen Worten fern, und er spricht Worte, die makellos sind, dem Ohre wohltuend, liebreich, zum Herzen dringend, höflich, vielen lieb und angenehm.

Andererseits legt es die Erfahrung nahe, sich dem Umfeld zumindest einigermaßen anzupassen, um nicht "anzuecken". Also beteiligt man sich am üblichen Geschwätz (Smalltalk), oder man haut auch mal einen Witz 'raus. Aber es gibt auch Situationen, wo man für Ehrlichkeit bestraft wird, also dass man eine drüber kriegt, wenn man die Wahrheit sagt. Dann ist es vielleicht ratsam, doch lieber nichts zu sagen, anstatt sich und/oder andere in Gefahr zu bringen.

Als Zweites wird sammā kammanta - Rechtes Tun/Handeln genannt.
Aber was ist das? Kammanta, da steckt das Wort Kamma drin! Und Kamma, das ist die Absicht, die Intention, d.h. es geht hier um bewusste als auch willentliche Handlungen. Dabei ist deutlich zu unterscheiden, ob man sich vor einer Handlung der Folgen bewusst ist, oder ob man im Nachhinein einfach sagt "das hab ich nicht gewollt". Man steckt eigentlich ständig in irgendeiner Art Zwickmühle. Wie oft haben wir schon gehört "Ich hab's doch bloß gut gemeint!" Oder wie steht es mit dem Beispiel, wo man lieber einen potentiellen Mörder umbringt, als dass man zulässt, dass er jemanden oder gar etliche Menschen tötet? "Jedem recht tun ist so schwer"...

Als Drittes haben wir sammā ājīva - den Rechten Lebenserwerb.
Das ist logischerweise die Vorgehensweise, wie man sich seine Brötchen verdient. Und das sollte zu Niemandes Schaden sein, schlicht und ergreifend: karmisch möglichst heilsam. Somit scheiden alle Berufe aus, die mit Waffen und Gift, bis hin zu Rauschmitteln jeglicher Art zu tun haben. Auch der Handel mit Menschen und Tieren ist unheilsam. Das schließt natürlich auch den Handel mit Fleisch ein. In AN V,177 wird das auch erwähnt. Aber was tun, wenn man derzeit einen eher unheilsamen Job hat und "Buddhist" sein will? Da erscheint einem die Versuchung der Arbeitslosigkeit dann doch recht verlockend. Aber ist Hartz IV, bzw. das "Bürgergeld" nicht als unrechter "Lebenserwerb" zu betrachten? Manchmal ist Arbeiten gehen sogar teurer, als man es eingestehen mag. Soll man da lieber nicht arbeiten, anstatt noch draufzahlen? Ist "Sozialarbeit" eine gute Alternative?

Im Visuddhimagga gilt die in "Reinheit des Lebensunterhaltes" (ājīva-pārisuddhi) bestehende Sittlichkeit, als das Abstehen von schlechter Lebensweise, die durch Übertretung der vorgeschriebenen Übungsregeln zustande gekommen ist, sowie Hinterlist, Plappern, Anspielerei, Verkleinerungssucht, Gier nach immer größerem Gewinn. Dazu fallen einem ganz spontan die Beispiele Politiker und Banker ein. Außerdem erfährt man, was da guter Wandel (ācāra) ist, nämlich das Nichtausschreiten in Werken, in Worten, oder in Werken und Worten, dass eben alle sittliche Zügelung als guter Wandel gilt.

Jetzt kommen wir zum Dreier-Komplex Samādhi - d.i. die Geistesruhe.
Was versteht man im Allgemeinen darunter? Am häufigsten hört man von der Bedeutung als "Konzentration". Geistessammlung und Geistesruhe sind durchaus gängige Übersetzungen. Auch dieser Teil des Achtpfades kann und wird in drei Teile gegliedert. Laut AN VII,42 sind die ersten 7 Aspekte des Achtpfades das Rüstzeug für die Sammlung. Und in AN V,28 wird gesagt, dass es eine fünfgliedrige rechte Sammlung gibt, nämlich die vier Vertiefungen (jhānā) und die danach stattfindende Rückschau.

Jedenfalls ist der erste Aspekt unter dem "Sammelbegriff" der Geistesruhe komischerweise sammā vāyāma - also die Rechte Anstrengung. Das haben wir doch schon mal gehört! Und zwar heißt es unter den Faktoren des Erwachens nämlich viriya. Wieso steht hier nun vāyāma? Warum soll Tatkraft als Bojjhaṅga fungieren und warum nicht Anstrengung? Anstrengen ist etwas bewirken, etwas in die Tat umsetzen. Das heißt, es ist eine Kombination von Tatkraft, Energie bzw. Energetischsein und Willenskraft, die auf ein Ziel ausgerichtet sind. Natürlich kann man es auch mit der Anstrengung übertreiben. Und das ist dann das, was man unter "Aufgeregtheit/Unruhe" verbuchen kann, eben als Verbindung zu den 5 Nīvaraṇā, d.i. die geistigen Hemmnisse.

Als zweiten Aspekt haben wir dann sammā sati - die Rechte Achtsamkeit.
Es gibt wahrlich massenhaft Abhandlungen zu diesem Thema. Hier soll mal eben nur eine Art Streifzug stattfinden. An dieser Stelle der Hinweis auf das exzellente Buch "Satipaṭṭhāna - Der direkte Weg" von Bhikkhu Anālayo.

In AN IV,29 steht, dass Achtsamkeit eine der vier Grundlehren ist. In AN IV,117 steht, dass Achtsamkeit der Wächter des Geistes ist. usw. usf.

Wenn es "rechte" Achtsamkeit gibt, dann muss es auch falsche Konzentration bzw. unrechte Achtsamkeit geben. Und tatsächlich ist es so, das die Intention, also die geistige Ausrichtung über sammā oder micchā entscheidet. Das bedeutet, dass die zugrundeliegende Absicht hinsichtlich "heilsam" oder "unheilsam" entscheidet, ob das Handeln, das Sprechen, ja sogar das Denken karmisch positive oder negative Impulse setzt.

Grundsätzlich ist ja Achtsamkeit extrem wichtig. Und zwar immer. Verbindet man nun aber Achtsamkeit mit Konzentration, kommt es ganz natürlich zu einer Art von Verdruss. Der Geist ist ständig angespannt. Das lässt kaum Freude aufkommen. Also braucht man ein Regulativ. Und auch das ist wieder mit Achtsamkeit verknüpft. Macht ständiges Fokussieren den Geist irgendwie "eng"? Aber geistige Geschmeidigkeit ist für den Fortschritt in der Meditation überaus wichtig. Also muss man sich darüber im Klaren sein, wie die Qualität der geistigen Verfassung ist. Selbstprüfung ist erforderlich. So kommt man immer mehr vom Hölzchen auf's Stöckchen. Im Englischen sagt man "a never ending job".

Die Achtsamkeit erscheint nicht nur bei der Nennung des Achtfachen Pfades, sondern auch als Faktor des Erwachens (bojjhaṅgā). Der Stellenwert ist hier ganz genauso wichtig, nämlich wie das vielgerühmte "Zünglein an der Waage". Ñāṇapoṇika schreibt in seinem Aufsatz "Das reine Beobachten": "Wie setzt sich nun Satipaṭṭhāna mit dieser Welt der unvermeidlichen inneren und äußeren Störungen auseinander? - Eben durch das gewaltlose Reine Beobachten, durch das bloße, aber ausdrückliche und klar bewusste Feststellen dieser "Störungen", ohne sich von diesem Standort auch nur um Haaresbreite verdrängen zu lassen, sei es durch Nachgiebigkeit oder unruhige Abwehr."

Kommen wir nun zum dritten Aspekt, nämlich sammā samādhi - die Rechte Konzentration.
Dazu haben wir schon am Anfang dieser Dreiergruppe ausreichend gesagt. Aber was ist eigentlich der Unterschied zwischen Geistesruhe und Konzentration (samatha-samādhi)? Geistesruhe allein ist "nur" eine Art Qualität des Verweilens, während richtiges Konzentrieren mit Achtsamkeit verbunden, als auch gerichtet, d.h. mit einem Objekt verbunden ist. Eben daher gibt es neben der rechten auch die falsche Konzentration. Und wieso ist falsche Konzentration "schlecht"? Ganz einfach, weil sie das falsche Objekt, bzw. die falsche Ausrichtung, Absicht, Intention hat. Die Interaktion mit "Gesinnung" ist entscheidend. Und dafür benötigt man, wie anfangs bereits erwähnt, die rechte Ansicht.

Und nun die letzte Gruppe, die man ganz allgemein mit Paññā - Erkenntnis bzw. Weisheit bezeichnet. Im "Buddhistischen Wörterbuch" schreibt Ñāṇatiloka, dass das zum achtfachen Erlösungspfad gehörende spezifisch buddhistische Wissen aber das "Hellblickwissen (vipassanā-paññā) sei, d.i. die den Eintritt in die vier Stufen der Heiligkeit vorbereitende und bewirkende Durchschauung aller Daseinsgebilde als vergänglich, elend und unpersönlich. Wenn das stimmen würde, wäre jeder, dem dieses "Wissen" nicht aufgeht, ohne Weisheit bzw. Erkenntnis. Man muss daher zu unterscheiden lernen, inwieweit bzw. wie tief "Erkenntnis" geht. Auch im ganz normalen Alltag ist ein Mindestmaß an "Wissen" bzw. "Erkenntnis" vonnöten. Und auch in der Einsichts-Meditation (vipassanā) gibt es verschiedene Stufen der Erkenntnis (vipassanā-ñāṇā), und zwar 16. Womit wir schon mal bei den Ursachen sind, die zum Entstehen von Weisheit, bzw. Erkenntnis führen. Da werden drei genannt:
1. Auf Nachdenken beruhendes Wissen entsteht, ohne dass man von Anderen etwas gehört/gelesen/erfahren hat, also wenn man von selber, also durch eigenes Denken bzw. Kontemplieren auf etwas gekommen ist.
2. auf Lernen beruhendes Wissen entsteht, wie der Name sagt, wenn man z.B. etwas von Anderen gehört bzw. erfahren hat, wenn man Bücher liest usw.
3. auf Geistesentfaltung beruhendes Wissen entsteht eben aufgrund der Entfaltung von Geistesruhe, d.h. Meditation. Interessant ist aber, dass da als Ursache nicht samatha (Geistesruhe) steht, sondern bhāvanā - und das bedeutet einfach nur "Entwicklung, Entfaltung, Kultivieren".

Jedenfalls hat die dritte Gruppe des Achtpfades zwei Teile, nämlich zum einen sammā diṭṭhi - die Rechte Ansicht und sammā saṅkappa - die Rechte Gesinnung. Über den Wert und die Wichtigkeit der rechten, d.h. richtigen Ansicht wurden bereits einige Worte gesagt. Sie steht nicht umsonst an 1. Stelle, siehe Sammādiṭṭhi-Sutta (MN 9). Ñāṇatiloka übersetzt hier mit "Erkenntnis", was aber nicht richtig ist, denn dann würde im Pāli sammā-paññā und nicht sammā-diṭṭhi stehen.

Aber wieso erscheint sie dann am "Schluss" des Achtpfades, statt am Anfang? Man kann durchaus sagen, dass rechte Ansicht das Alpha und Omega der Buddhalehre ist. Mit rechter Ansicht fängt alles an und rechte Ansicht hat dann jemand vervollkommnet, der den Achtpfad vollends entfaltet hat, sprich, jemand, der den Achtpfad vollständig bzw. vollumfänglich entfaltet, dem steigt schlussendlich jene Erkenntnis, also jene Einsicht auf, das man das Wissen von der Triebversiegung nennt - was nichts anderes ist, als der Eintritt der Heiligkeit.

Der Logik nach müsste man dann aber sammā-saṅkappa, also die rechte Gesinnung voran stellen. Und eben hieraus wird deutlich, dass die rechte Ansicht vorangeht, dass sich aus der rechten Ansicht die rechte Gesinnung entwickelt usw. usf. Übrigens wird sammā-saṅkappa auch mit "rechter Entschluss" übersetzt, was in Pāli aber ein ganz anderes Wort ist, nämlich aditthāna. Dann wird im Buch "Der Weg zur Erlösung" aus verschiedenen Lehrreden zitiert, ohne die genaue Passage anzugeben: "Rechte Gesinnung, ihr Mönche, sage ich, ist von zweierlei Art . . . Entsagende, hasslose und friedfertige Gesinnung: das, ihr Mönche, ist eine rechte Gesinnung, die zwar den üblen Trieben noch ausgesetzt ist, die aber verdienstvoll ist und weltliche Früchte bringt . . . Das Denken, Überdenken und Sinnen aber, das bei Erweckung des edlen Pfades . . . besteht, das Richten und Festigen der Gedanken, die gedankliche Einstellung, die verbale Tätigkeit des Geistes (vacā-saṅkhāra, d. i. Gedankenfassen und Überlegen): das, ihr Mönche, gilt als die edle, triebfreie, überweltliche, mit dem Pfade verbundene rechte Gesinnung."

Wieso nennt Ñāṇatiloka vitakka-vicāra hier, also das Richten der Gedanken? Vielleicht, weil er das "Sinnen" als "Denken" auffasst? Vacā-saṅkhāra bezeichnet er als Gedankenfassen und Überlegen, was aber a.a.O. eindeutig als "Objekt-Auffassen" und "Objekt-Befassen" bezeichnet wird. Und warum? Ganz einfach: weil man auch ohne darüber nachzudenken eine heilsame Gesinnung hegen kann. Es geht also nicht um gedankliches, sondern um geistiges Ausrichten. Demnach ist Objekt-Erfassen geistiges Ausrichten, und Objekt-Befassen geistiges Dranbleiben - und zwar auch ohne "Denken".

Seltsamerweise ist Rechte Gesinnung kein Faktor des Erwachens (bojjhaṅga). Aber warum? Eben weil Gesinnung der Absicht/Intention entspricht, d.h. etwas wollen, anstreben, den Willen resp. das Wollen ausrichten und das, aufgrund oder wegen oder als unmittelbare Folge der rechten Ansicht.

 

Zusammenfassung

Der Achtpfad ist ein interdynamischer Prozess und kein Stufenweg. Die einzelnen Aspekte können und/oder werden einzeln als auch zusammen in beliebiger Weise kombiniert und entwickelt, wobei die rechte Ansicht Grundvoraussetzung ist, und dennoch die Ethik als Basis fungiert, Geistesruhe zwingend erforderlich ist und schlussendlich Erkenntnis Lohn der Mühe ist.

In der alltäglichen Praxis könnte das dann so aussehen:
Beinahe permanent gibt es kontemplatives Erforschen bzw. Nachforschen hinsichtlich der Fragen: Habe ich rechte Ansicht? D.h., weiß ich, was heilsam ist und was unheilsam ist? Habe ich rechte Gesinnung? D.h., ist mein Sinnen und Trachten darauf ausgerichtet, das "Ziel" zu erreichen? Wie steht es um meine Tugend? D.h. halte ich mich an die mir auferlegten 5, 8, 10, 227 oder 311 Tugendvorschriften bzw. Übungsregeln (sīlā)? Dabei ist es ratsam, diese einzeln durchzugehen. Wie sieht es dann mit dem Reden aus, mit den Handlungen, mit der Arbeit? Wie ist es um meine Achtsamkeit bestellt? Kann ich mich an so ziemlich alles erinnern, was am Tag passierte? Strenge ich mich auch genug an? Bin ich eher konzentriert oder eher zerstreut?

Und hier nochmals der Hinweis auf das exzellente Buch "Satipaṭṭhāna - Der direkte Weg" von Bhikkhu Anālayo, worin anhand der Lehrrede von den Vergegenwärtigungen der Achtsamkeit (MN 10) ausführlich erklärt wird, was Achtsamkeit ist.




 

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