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Freude im Buddhismus
 

von Kassapa

 

Buddha
Abhaya-Mudra - Schutzgewährung
National-Museum Neu-Delhi

 

Stimmt es, dass der Buddhismus nur das Leiden betont, aber die Freude außer acht lässt?

Ja, so denken viele, die sich zwar von der Buddhalehre angezogen fühlen, aber nur einen oberflächlichen Einblick in die Lehre gewonnen haben. Wohl stimmt es, dass sich die Buddhalehre intensiv mit dem Leiden auseinandersetzt, doch behauptet sie nicht, dass es keine Freude gäbe. Im Gegenteil geht aus ihr hervor, dass der Weg zur Befreiung vom Leiden beglückend ist "am Anfang, in der Mitte und am Ende". Bevor wir jedoch auf die Freude eingehen, die das Beschreiten des Weges mit sich bringt, kommen wir nicht umhin zu zeigen, wie Leiden im Sinne der Buddhalehre zu verstehen ist. Dabei stoßen wir schon auf eine freudige Botschaft: "Leiden ist überwindbar."

Der Weg zur Überwindung des Leidens beginnt mit kleinen Schritten, doch schon mit den allerersten Anfängen kommt eine neue Gehobenheit ins Leben, die es leichter und leichter macht, auf so Vieles, woran unser Herz hängt, zu verzichten, weil wir erkennen, es festzuhalten bringt nur Verdruss. Also zeigt sich schon die Freude des Aufgebens, die anfangs allerdings gering ist im Verhältnis zu der Freude, die sich einstellt, wenn wir auf den Wegen des Buddha weiter fortschreiten. Kleine Freuden stehen einer immer größer werdenden Freude gegenüber. Es handelt sich jedoch um eine Freude, die sich auf einer ganz anderen Ebene bewegt, als die Freuden des Sinnengenusses.

Der Buddha hat uns nicht gelehrt, dass es im Daseinsverlauf keine Freude gäbe. Ansonsten würden die Wesen nicht so sehr am Dasein hängen. Es gibt jedoch eine niedere, gemeine Freude, der die Menschen eifrig nachjagen, weil sie von dem Irrglauben besessen sind, in dem ruhelosen Auf und Ab von Moment zu Moment, von Tag zu Tag, Jahr zu Jahr durch Geburt, Alter, Krankheit, Tod und neuer Geburt sei ein dauerhaftes Glück zu finden. Viele befürchten, sie verpassen etwas, wenn sie nicht jedem Vergnügen nachjagen. Auch dabei gibt es Glücksmomente, doch sie sind kurzlebig und bringen keine dauernde Erfüllung. So mancher fragt sich: "Ist das alles, was das Leben zu bieten hat?" Alle Genüsse, denen man nachjagt, werden auf die Dauer schal. Im jungen Menschen brennt das Lebensfieber, doch immer wieder stürzt er aus den Höhen seines Hochgefühls ab in eine Art Katzenjammer, in die Ernüchterung. Hier zeigt sich das Gesetz der Wandlung, dem zufolge einmal alles endet und allzu oft sein Gegenteil nach sich zieht. Es wäre eine Lüge, wenn man dem Mitmenschen weis machen wollte, es wäre doch alles so herrlich und wunderbar.

Was steht dem wahren Glück entgegen? Es stellt sich nicht von selber ein, es muss erstrebt werden, es erwächst aus der inneren Stille. Aus der Stille entsteht ein Glücksgefühl, das den ganzen Menschen durchdringt und ihn erleichtert aufatmen lässt. Nur wenige Menschen sind bereit, sich einfach einmal der Stille zu öffnen, ihre Stimmungen zu betrachten und alles, was sie bedrückt, einmal fallen zu lassen. Was steht dem entgegen? Die übliche Ausrede ist: "Wir haben zu so etwas keine Zeit, wir haben Wichtigeres zu tun." Viele sind ihrer Hektik so verfallen, dass ihnen die Stille unheimlich ist und sie es vorziehen, vor ihr davon zu laufen. Für viele sind Einkehr und Frieden fremde Begriffe. Wie gut würde es ihnen tun, sich von Zeit zu Zeit hinzusetzen und einmal gar nichts zu tun, einfach nur "die Seele" baumeln zu lassen? "Aber dabei wird man ja kribbelig", sagt so mancher und setzt sich lieber vor den Fernseher, um sich zu "zerstreuen". Fußball, Fernsehen, Filzpantoffeln, Flaschenbier - wie öde wäre das Leben, wenn es diese Dinge nicht gäbe?

Man muss jedoch feststellen, dass das moderne Leben im Zeitalter der Globalisierung jeglicher Besinnung und Verinnerlichung abhold ist. Der Einzelne soll ja etwas leisten, hochqualifiziert sein und der Wirtschaft nützen. Der Existenzkampf stellt an ihn immer höhere Anforderungen, und so mancher wird unter dem Druck beruflicher und familiärer Verpflichtungen nahezu erdrückt. Psychosomatische Erkrankungen werden immer häufiger. Der ganze Volkskörper scheint krank zu sein, physisch und psychisch.

Wir sind einer weltweiten Entwicklung ausgeliefert, die keinen Silberstreif am Horizont erkennen lässt. Es regiert die Angst. Die über uns herein gebrochene Finanzkrise, auch ein Symptom der Globalisierung, verstärkt das Gefühl der Unsicherheit. Große Geister, die in der Lage wären, die sich anbahnende Weltkatastrophe abzuwenden, sind nicht zu finden. Allerdings dürfen wir nicht glauben, eine verbesserte Welt löste alle unsere Probleme wie von selber, denn jeder schleppt sich selbst mit sich herum und muss mit sich selber ins Reine kommen. Dazu ist etwas anderes nötig, das wir nur in uns selber finden können.

Allein schon mit unserem Verhalten verbessern oder verschlechtern wir die Welt, in der wir leben. Die ersten, auf die sich das auswirkt, sind unsere Mitmenschen. Darum ist der erste Imperativ, den wir zu befolgen haben: "Pass gut auf dich selber auf!" Ich will nicht über Verhaltensethik philosophieren, weil man den Kern rechten Verhaltens mit wenigen einfachen Sätzen ausdrücken kann. Im Volksmund heißt es: "Was du nicht willst, das dir man tu', das füg' auch keinem Andern zu!" Es ist ein Spruch von universeller Gültigkeit, nicht ausschließlich buddhistisch, der wohltuend auf uns selber zurückwirkt, wenn man ihn mit Liebe befolgt. Schon damit stellt sich Freude ein.

Die Buddhalehre ist ungeheuer reich an Spruchmaterial, und darum muss man lange suchen, bis man das Geeignete gefunden hat. Da kam mir der Gedanke: "Drücke doch das, was du sagen willst, in eigenen Worten aus!" So entstanden denn die folgende Strophen:

Hab acht auf deine Taten,
sie folgen dir über den Tod hinaus.
Glück bringen dir die guten,
die schlechten aber Schmerz und Leid.

Was du auch immer tust,
tust du dir letztlich selber an.
Drum frage dich bei jeder Tat:
"Dies mir antun, will ich das?"

Diese Verse sind natürlich ein Extrakt aus der Lehre von Karma und Wirkung, deren gesetzmäßiger Zusammenhang in der Buddhalehre sehr ausführlich behandelt ist. Karma, in der Pālisprache "kamma", ist eine geistige Schubkraft, die in jedem Bewusstseinsmoment wirksam ist. Ohne sie könnten wir nicht sehen, hören, riechen, schmecken, tasten oder denken, geschweige denn gute oder üble Handlungen begehen. An sich ist diese Kraft weder gut noch böse, wird es aber, wenn sie durch Gier, Hass und Verblendung motiviert ist, oder deren Gegenteil, Großherzigkeit, Güte und Weisheit. Man spricht dann von unheilsamem oder heilsamem Karma oder Wirken. Karma ist auch in den höchsten Stadien der Meditation aktiv und hat dann eine Kraft, die diejenige unseres alltäglichen Wirkens in Taten, Worten und Gedanken bei weitem übertrifft. Selbst die Durchbrüche zur "großen Erleuchtung" sind von der motorischen Kraft des Karma bewirkt.

Wie wirkt Karma über den Tod hinaus? Im Laufe unseres Lebens häufen wir ungeheuer viele karmische Aktivitäten an, sowohl gute als auch böse. Im Sterben erinnern wir uns an die für unser verfließendes Leben wichtigste Willenshandlung, d.h. Karma, als Tat, Rede oder Gedanke. Die dabei reaktivierte Karmakraft wirkt über den Tod hinaus in eine bestimmte Richtung und belebt eine empfängnisbereite Keimzelle, die ihm zusagt. Damit beginnt ein neues Leben, in welchem das betreffende Wesen die Früchte seines soeben verflossenen Lebens erntet.

Dazu ein Vergleich: Der Sterbende ist wie ein Radiosender, der Wellen einer bestimmten Frequenz ausstrahlt. Treffen diese Wellen auf einen Empfänger, der auf die gleiche Frequenz eingestellt ist, kommt es zum Empfang. So belebt Karma eine Keimzelle, die von Anfang an ein bewusster, lebender Organismus ist. Bewusstsein ist nicht auf ein fertig ausgebildetes Gehirn angewiesen, um funktionieren zu können. Nach buddhistischer Auffassung kommt Abtreibung einem Mord gleich, weil sie einem nach Dasein drängenden Wesen die Möglichkeit abschneidet, sich zu verkörpern. Wie die materialistisch orientierte Wissenschaft dies sieht, interessiert mich nicht. Eine Abtreibung belastet diejenigen, die sie vornehmen aufs schwerste, auch seelisch, wie viele Fälle zeigen.

Die Lehre von Karma und Wirkung stößt bei Wissenschaftlern oft auf Ablehnung, weil sie naturwissenschaftlich nicht beweisbar ist. Karma - ein Synonym dieses Begriffes heißt "cetanā" - ist ein geistiger Faktor und entzieht sich labortechnischen Untersuchungen, nicht aber der inneren Erfahrung. Die Karmalehre ist schlechtestenfalles eine Arbeitshypothese, durch die vieles, was sich der wissenschaftlichen Forschung entzieht, erklärbar wird. Dazu ein Zitat von Edward Conze, einem Indologen deutscher Abstammung, der in England gelebt hat:

"So mächtig und erfolgreich aber die Methoden der Wissenschaft auch sein mögen, für die Erforschung von zwei Dritteln des Universums sind sie unbrauchbar.
Die psychische und geistige Welt liegen nämlich jenseits ihrer Begriffe.
Das, was unsere Sinne nicht erkennen, erschließt sich uns mittels anderer uns innewohnender Kräfte."

Das trifft insbesondere für die buddhistische Meditation zu, die nichts anderes ist, als die Erforschung unserer geistig-leiblichen Wirklichkeit durch direkten Einblick. Auf diesem Wege gelangt man von einem Erkenntnisfunken zum anderen wie auf einer allmählich ansteigenden Straße, bis man vor dem Tor des höchsten Zieles steht, Nibbāna oder Nirvāṇa, der totalen Leidfreiheit. Auf diesem Wege stellt sich eine von Schritt zu Schritt sich steigernde Gehobenheit ein, die einen über die Sorgen und Nöte des Alltages hinaushebt. Hört man den Satz "alles ist leidvoll", missversteht man ihn nicht in dem Sinne, als gäbe es auf der Welt nur Heulen und Zähneklappern. Man lernt jedoch Wünschenswertes und Unerwünschenswertes zu unterscheiden, und man vermag sich von den vielen Bedürfnissen loszulösen. Darin liegt eine große Erleichterung. Für diejenigen, die im Weltleben stehen, ist es nicht nötig, sich jeden Genuss zu verkneifen. Schönes nimmt man dankbar hin, und wenn es schwindet, lässt man es ohne Bedauern fahren und fühlt sich frei. So entwickelt sich mehr und mehr eine innere Unabhängigkeit und Ausgeglichenheit auch im Alltag, die derjenige nicht kennt, der in der ständigen Angst, etwas zu verpassen, einem Vergnügen nach dem anderen nachjagt oder als Verantwortung tragender Mensch, ganz in seinen Alltagsgeschäften befangen ist, wie ein Maulwurf in seinem Erdhaufen.

Es geht darum, in seinem Geist Platz für das Bewusstsein zu schaffen, dass es auch noch etwas anderes gibt, als das Eingebundensein in die bürgerlich-kapitalistische Tatsachenwelt. Wohl dem, der sich die Freiheit schafft, sich von Zeit zu Zeit über sie zu erheben!

Nehmen wir einmal an, wir ständen in einer weiten und offenen Landschaft in einer sternenklaren Nacht. Ergriffenheit packt uns angesichts des Mondes und der über uns funkelnden Sterne an dem sich über uns dehnenden Himmelszelt. Fühlen wir uns dann nicht als Teile einer höheren Ordnung? Steigert sich dieses Gefühl nicht noch, wenn wir anschließend auf ein Weltraumfoto schauen und den Anblick der chaotischen und doch so erhabenen Vielfalt der Gestirne und Galaxien bewundern? Ist dies nicht wie der Blick aus einem Gefängnisfenster nach draußen?

Im Universum bedingt eines das andere, und jeder von uns ist Teil des Ganzen. Doch wie es in den Wald hinein schallt, so schallt es heraus. Wir geben und empfangen, und was wir von uns geben, kommt auf uns zurück. Wir stehen unter einem Kreuzfeuer heilbringender und unheilbringender Kräfte, und es hängt von uns ab, wie wir uns in ihr Wirken einschalten, d.h. welchen Kräften wir uns öffnen. Üble Gesinnungen, die auf Gier, Hass und Verblendung beruhen, verleiten uns zu üblem Tun, Reden und Denken und ziehen Übles an. Sofern wir aber eine reine und rechtschaffene Gesinnung pflegen, ist das Gegenteil der Fall. Tugend, Sammlung und Weisheit bestimmen unser Handeln, tragen zur Bildung besserer Verhältnisse in der Welt bei. Von unserem Bemühen, unserem Bestreben geht eine Wirkung aus, die nicht auf uns selbst beschränkt bleibt. Nach dem Prinzip universaler Bedingtheit erstreckt sich diese Wirkung bis in die Fernen des Universums; andere Wesen, ob menschlicher oder nichtmenschlicher Art, empfangen, was von uns ausgeht und erwidern es auf ihre Weise. So bildet sich ein Schutzwall des Heilsamen um uns herum. Es stimmt nicht, dass die Früchte unseres Wirkens nur uns selber zugute kommen, alle Wesen haben daran teil, auch wenn wir dies für unwahrscheinlich halten.

Die befreiende Erkenntnis, die auf einem meditativen Durchbruch beruht, kann jedoch kein Wesen auf das andere übertragen. Selbst der Buddha konnte nur den Weg zeigen, gehen muss ihn jeder selbst. Auch der Mahāyānist, der ein Bodhisattva werden will, um die ganze Welt zu befreien, kann nichts anderes tun, als lehren und Meditationsanweisungen erteilen. Bemüht sich der Schüler nicht, hat er auch keinen Erfolg zu erwarten.

Über allen heilbringenden und unheilbringenden Kräften im Universum steht der Buddha. Er ist wie ein Brennpunkt der höchsten Weisheit und Geistesmacht in Menschengestalt. Angeregt von seiner Lehre sind wir in der Lage, die in uns schlummernden, gleichartigen Kräfte in uns soweit zu vollenden, dass sie alles Unheilsame, das uns leiden macht, auflösen. Damit lösen sich auch die Fesseln, die uns an den Daseinsprozess binden. So wachsen wir gleichsam "über das All hinaus". Obwohl wir in das All eingebettet sind und von den in ihm wallenden Kräften getragen werden, walten in ihm unheilbringende Kräfte, die uns teils als Auswirkung alten Karmas treffen, teils aber auch, weil sie durch unsere Gier, unseren Hass und unsere Verblendung angezogen werden. So macht uns das Unheilsame in uns angreifbar für das Unheilsame, das von anderen Wesen kommt.

So hat die Verbundenheit mit dem All auch ihre Kehrseite, nämlich Bindung an das allgegenwärtige Stirb und Werde, einschließlich Geburt, Alter, Krankheit und Tod. Dem gegenüber steht die freudigste Botschaft, die es gibt: Es gibt einen Ausweg, nämlich den Weg zum Nibbāna, der endgültigen Leidfreiheit.

Wie sich die endgültige Leidfreiheit "anfühlt", wissen wir nicht, weil wir keine Erleuchteten sind, die sie schon erreicht haben. Mit den allerersten Schritten auf dem Wege stellt sich jedoch schon ein Vorgeschmack von ihr ein, der sich bei jedem weiteren Schritt verstärkt. Mehr und mehr fühlen wir uns von einer Zuversicht erfüllt, die uns über die Widerwärtigkeiten der Welt hinaushebt. Rein äußerlich gesehen besteht der Weg in der Übung von Tugend, Sammlung und Weisheit, doch in Wirklichkeit ist er ein Wachstumsprozess, ein Hinauswachsen über uns selbst, in dessen Verlauf jeder, auch der kleinste Fortschritt ein Stück Erlösung ist. An seinem Ende steht die große Erleuchtung wie ein gewaltiger Blitz, der Gier, Hass und Verblendung für immer vernichtet und somit alle Leidanfälligkeit auslöscht. Das ist Nibbāna, zeitlose Ruhe, zeitloser Friede.

 

 

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