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Allerlei Lehrreden V

Glauben und Glaubensstandpunkte

 

Ein Vortrag von

Santuṭṭho Bhikkhu

vom 30. August 2022

Der zukünftige Buddha beim Grübeln
Ashmolean-Museum, Oxford


In Anguttara-Nikāya III,62 kann man etwas von drei Glaubensstandpunkten lesen. Der Buddha zeigt hier auf, inwiefern "Glauben" in Untätigkeit endet. Hier der relevante Textabschnitt als Zitat (gerafft):

Drei Glaubensstandpunkte gibt es. Werden sie von Verständigen geprüft, untersucht und gründlich vorgenommen, dann ergibt sich, dass sie, selbst wenn man ihnen bloß der Tradition wegen folgt, in Untätigkeit enden. Welches sind diese drei Glaubensstandpunkte?

  1. Es gibt einige Asketen und Priester, die da behaupten und der Ansicht sind, dass, was auch immer der Mensch empfindet, durch frühere [vorgeburtliche] Tat bedingt sei.
  2. Es gibt einige Asketen und Priester, die da behaupten und der Ansicht sind, dass, was auch immer der Mensch empfindet, dass das alles durch Gottes Schöpfung bedingt sei.
  3. Und es gibt einige Asketen und Priester, die behaupten und der Ansicht sind, dass alles, was auch immer der Mensch empfindet, ohne Ursache und Grund geschieht.

Jene Asketen und Priester nun, die da behaupten und der Ansicht sind, dass alles durch frühere Tat bedingt sei, die habe ich aufgesucht und also gefragt:
"Ist es wahr, Verehrte, dass ihr, wie es heißt, behauptet und der Ansicht seid: was auch immer der Mensch empfindet, dass das alles bedingt ist durch frühere Tat?" Derart von mir befragt, stimmten jene mit "Ja" bei. Ich aber sprach zu ihnen: "Demnach also, Verehrte, würden die Menschen infolge früherer [vorgeburtlicher] Tat zu Mördern, Dieben, Unkeuschen, Lügnern, Zuträgern, Schimpfbolden, Schwätzern, Habgierigen, Gehässigen und Irrgläubigen?" Wahrlich, denjenigen, die sich auf frühere Tat als das Entscheidende berufen, fehlt es an Willensantrieb und Tatkraft und [an einem Anlass] dieses zu tun oder jenes zu lassen. Weil sich nun aber hieraus wirklich und gewiss keine Notwendigkeit ergibt für ein [bestimmtes] Tun oder Lassen, so verdienen solche geistig Unklare und unbeherrscht Lebende nicht die Bezeichnung als Asketen.

Jene Asketen und Priester nun, die da behaupten und der Ansicht sind, dass alle durch Gottes Schöpfungs bedingt sei, die habe ich aufgesucht und also gefragt:
"Ist es wahr, Verehrte, dass ihr, wie es heißt, behauptet und der Ansicht seid: was auch immer der Mensch empfindet, sei alles ist durch Gottes Schöpfung bedingt?" Also von mir befragt, stimmten jene mit "Ja" bei. Ich aber sprach zu ihnen: "Demnach also, Verehrte, würden die Menschen infolge von Gottes Schöpfung zu Mördern, Dieben, Unkeuschen, Lügnern, Zuträgern, Schimpfbolden, Schwätzern, Habgierigen, Gehässigen und Irrgläubigen!" Wahrlich, denjenigen, die sich auf Gottes Schöpfung als das Entscheidende berufen, fehlt es an Willensantrieb und Tatkraft und [an einem Anlass], dieses zu tun oder jenes zu lassen. Weil sich nun aber hieraus wirklich und gewiss keine Notwendigkeit ergibt für ein [bestimmtes] Tun oder Lassen, so verdienen solche geistig Unklare und unbeherrscht Lebende nicht die Bezeichnung als Asketen.

Jene Asketen und Priester nun, die da behaupten und der Ansicht sind, dass alles ohne Ursache und Grund geschieht, die habe ich aufgesucht und befragt:
"Ist es wahr, Verehrte, dass ihr, wie es heißt, behauptet und der Ansicht seid: was auch immer der Mensch empfindet, all das geschehe ohne Ursache und Grund?" Also von mir befragt, stimmten jene mit "Ja" bei. Ich aber sprach zu ihnen: "Demnach also, Verehrte, würden die Menschen ohne Ursache und Grund zu Mördern, Dieben, Unkeuschen, Lügnern, Zuträgern, Schimpfbolden, Schwätzern, Habgierigen, Gehässigen und Irrgläubigen!" Wahrlich, denjenigen, die sich auf Ursachlosigkeit als das Entscheidende berufen, fehlt es an Willensantrieb und Tatkraft und [an einem Anlass], dieses zu tun oder jenes zu lassen. Weil sich nun aber hieraus wirklich und gewiss keine Notwendigkeit ergibt für ein [bestimmtes] Tun oder Lassen, so verdienen solche geistig Unklare und unbeherrscht Lebende nicht die Bezeichnung als Asketen
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Aber was ist eigentlich "Glauben"(saddhā)?
Zum einen wird das oft mit "Vertrauen" übersetzt, zum anderen wird es mit "Unkenntnis" gleichgesetzt.

"Ich glaube Dir" bedeutet "Ich habe Vertrauen zu Dir", aber auch "Ich habe zwar kein Vertrauen zu Dir, aber was Du sagst, scheint mir richtig zu sein".

"Ich glaube" in religiösem Sinn bedeutet, dass man an etwas oder an jemanden glaubt, der für einen Teil der eigenen fehlenden Erkenntnis als Ersatz dient. Das betrifft hauptsächlich Fragen zur Entstehung der Welt, Naturgesetze, Ursache und Wirkung, "Wer bin ich", "Warum gerade ich", d.h. "unerklärliche Dinge".

Früheste Formen des religiösen Glaubens sind animistische Religionen, d.h. Glaube an Naturgottheiten, die die Welt am Laufen bzw. Funktionieren halten, Götter und/oder Geister als Verantwortliche, die man dem entsprechend zu beeinflussen sucht.

Deutlich unethischer ist die Entwicklung sogenannter "Hochreligionen", wo die Menschen als Geschöpfe von Gottheiten definiert werden und man sie mithilfe allerlei Geschichten und Erzählungen unter eine Art Abhängigkeit bringt, um materielle Güter zu erlangen, bis hin dass Religiose zu Machthabern werden. Bestes Mittel zum Zweck ist die Erfindung der "Sünde" einerseits, die man dann mittels "Gnade" bzw. "Vergebung" institutionalisiert. Psychische Abhängigkeit wird geschaffen, die mithilfe materieller Güter zu bezahlen ist. Es entwickelt sich ein System - eine Religion, d.h. eine Bindung, die auf der Annahme beruht, dass es etwas gibt, dass insofern personifiziert wurde, um es, obwohl immateriell, mit materiellen Dingen sowie Dienstleistungen zufrieden zu stellen.

Irgendwie scheint das aber ein Zeichen aller Religionen zu sein. Auch der Buddhismus macht da keine Ausnahme. Auch hier gibt es Hauptberufliche, die nichts zum materiellen Einkommen beitragen und abhängig sind von dem, was man ihnen zukommen lässt bzw. sogar von mehr oder minder freiwilligen Abgaben leben.

Re-ligio bedeutet Rück-Bindung. Und der Buddha hat doch das Lösen aller Bindungen gelehrt.
Dem zur Folge müsste man jetzt den Schluss ziehen, dass man Religiose nicht unterstützen dürfe, um sich nicht in Abhängigkeit zu verstricken. Eine pikante Note. Einerseits suchen die Menschen nach Erkenntnis und der Lösung ihrer vermeintlichen als auch realen Probleme, aber andererseits ist man nicht oder nur höchst ungern bereit, Menschen zu unterstützen, die sich hauptberuflich darum bemühen, eben jene Erkenntnis zu erlangen bzw. die einem beizubringen versuchen, jene existenziellen Fragen zu beantworten.

Zurück zum Glauben.
Man kann also an alles Mögliche und auch Unmögliche glauben. Vor allem das Unmögliche wird zur Zielscheibe der Glaubensstandpunkte. "Man glaubt nur allzu gern an das, was man sich wünscht."

"Glaube, Liebe, Hoffnung" werden zu jenen Tragpfeilern, auf die gestützt man sich durch das Dasein in eine vermeintlich bessere, zumindest aber andere Welt quält.

Aber nicht umsonst gibt es den Spruch "Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott".
Scheinbar ist die Allmacht des Schöpfers aber doch irgendwie limitiert.

Es geht überhaupt nicht darum, Religion als etwas völlig Verwerfliches darzustellen, sondern darum zu erkennen, wo "Bindung" ist, statt "Freiheit", sprich Abhängigkeit statt Eigenverantwortlichkeit.

Natürlich erscheint ein Leben deutlich einfacher, wenn man alle existenziellen Fragen an eine imaginäre Autorität delegiert. Es ist sehr bequem, eine nicht fassbare Gestalt für alles verantwortlich zu machen. Das entspricht letztendlich unserer Tendenz bzw. Überzeugung, dass sowieso immer der bzw. die anderen an etwas schuld sind. Dann ist es eben "logisch", dass es einem guten Menschen schlecht geht, dass Menschen behindert sind oder dass auch Kinder sterben. Es liegt eben alles in Gottes Hand. Und wenn man nur noch Übles erfährt, dann tröstet einen die vermeintliche Gewissheit, dass man nicht tiefer fallen könne, als in Gottes Hand.

Im Buddhismus hingegen wird das Dasein deutlich "einfacher". Hier soll nicht in aller Ausführlichkeit die 12gliedrige Kette von Ursache und Wirkung bzw. das Karma behandelt werden, sondern es geht nur darum, aufzuzeigen, wie man die Ratio (d.i. Vernunft) einsetzt, um ein alternatives Erklärungsmodell zu schaffen, das jeder je nach seinen Fähigkeiten selber nachvollziehen kann - aber nicht muss.

Ursache und Wirkung als universell gültiges Naturgesetz statt Glaube an einen (oder mehrere) Schöpfer. Der Mensch als Individuum als bedingt entstandenes Wesen aufgrund von ihm selbst geschaffener Werte.

Die leidige Schuld-Frage ist beantwortet und es wird ein Ausweg gezeigt. Der allerdings ist nur annehmbar, sofern man sich von Wertebegriffen wie "gut" und "schlecht" trennt und "heilsam" als zum Heil d.h. zur Gesundung hinführend und eben das Gegenteil "unheilsam", zum Unheil führend akzeptiert.

Aber auch das ist nicht das Entscheidende.
Zuallererst muss man das Dasein als einen Prozess erkennen. Ein Prozess, der sich nicht nur über das eine jetzige aktuelle Dasein erstreckt, sondern über mehrere, deren genaue Anzahl keiner ermessen kann. Auch nicht Herr Buddha. Er konnte sich an ungeheuer viele erinnern, an ganze Weltzeitalter, aber eben nicht an alle. Wozu auch?

Jedenfalls ist das gesamte Dasein ein Ablauf von bedingt entstandenen Situationen und Gegebenheiten inclusive der eigenen Person bzw. Persönlichkeit. Und diese wiederum steht in unmittelbarer Wechselbeziehung, damit, was eben jene Kette von Bedingtheiten weiter fortführt. Bis ins Unendliche, sofern man nicht damit aufhören mag. Kurzum, man selber produziert genau jenen Treibstoff, der einen selber antreibt.

Die Auflösung ist theoretisch also ganz einfach: Hör auf, Treibstoff zu erzeugen, dann wird irgendwann auch Schluss sein. Dummerweise wissen wir aber nicht, wieviel noch auf unserem karmischen Akku gespeichert ist. Ganz zu schweigen, wieviel von der Ladung positiv oder negativ ist.

Der Buddhismus bietet als einzige Weltanschauung einen Ausweg aus jeglicher Art Daseinsform.
Ganz nüchtern und pragmatisch wird da der Achtfache Pfad genannt, der sich in drei Teile gliedern lässt, nämlich Ethik (sīla), d.i. Tugend, Geistesruhe (samādhi) und Erkenntnis (paññā). Und diese drei Dinge sind untrennbar miteinander verbunden. Ohne Ethik keine Geistesruhe, ohne Geistesruhe keine Erkenntnis.

Natürlich kann man unter Stress auch Erkenntnis gewinnen. Zum Beispiel die der Leidhaftigkeit. Oder die Erkenntnis, aus dem Leid herauszuwollen. Aber die Erkenntnis WIE - die dürfte nur aufkommen, wenn man ausreichend im Geist gesammelt ist, was wiederum nur geht, wenn man einigermaßen ethisch korrekt lebt.

In den Urtexten steht nichts von Perfektion, d.h. dass man vollkommen sein muss, um Erkenntnis zu erlangen. Aber da steht an mehreren Stellen, dass vollkommene Tugend äußerst wünschenswert ist. Das wird dann später zu einem ganzen Komplex von Vollkommenheiten ausgearbeitet, die man über etliche Existenzen hinweg entwickelt.

Wir als energetische Europäer haben da ein kleines Problem: unsere Ungeduld. Vor allem mit uns selber.
Bei uns muss alles möglichst sofort sein. "Das" will ich jetzt haben. Das muss jetzt passieren. Jetzt muss es so und so sein. So will ich das jetzt. Usw. usf.

Aber so funktioniert die Aufhebung der Ursachen des Daseins nicht. Denn eben jenes Wollen ist eine der Treibkräfte. Dieses ständige Wollen - Mögen - Nichtwollen - Nichtmögen sind aufgrund unserer Unwissenheit im Sinne von Nichtverstehen bzw. Nichterkennen die Ursache, dass es immer weiter geht.

Unsere Reaktion auf was-auch-immer ist also der Treibstoff, aus dem Neues entsteht, worauf wir wiederum reagieren - und wieder - und wieder - und wieder ...

Um da zu sein braucht es also keinen Schöpfer, geschweige denn einen Gott.
"Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde", ist demnach gar nicht so falsch.

Aber um das Dasein zu bewältigen, damit zurecht zu kommen, dafür kann man schon ganz gut Beistand gebrauchen. Göttlicher wäre ideal. Und den kann es durchaus geben. Warum auch nicht?
Götter sind ja auch "bloß" Wesen. Und die haben ganz andere Qualitäten. Warum sollten die also nicht eine Wirkung bis in die Menschenwelt haben? Von daher ist es durchaus möglich, dass es die "kleinen Helferlein" gibt, die man als Engel, Schutzengel, Schutzgottheiten bezeichnet. Daraus kann man dann auch einen besonderen Kult machen. Das Erschaffen von Ritualen und Zeremonien scheint ja sowieso ein besonderes Zeichen der Kreativität des menschlichen Geistes zu sein.

Der Buddha hat aber nicht umsonst gesagt, dass man sich selber am besten schützen könne. Dass man zuerst sich selber schützen möge, und man dann damit auch die anderen schützt. Wie das geht? Ganz einfach: indem ich mich selber ethisch korrekt verhalte, schädige ich niemand anderen. Je mehr sich andere an die selbe Wertvorstellung halten, um so mehr Wesen werden nicht geschädigt. Daher heißt es ja auch "mit gutem Beispiel voran gehen". Und hier ist erkennbar, wie der Spruch funktioniert: "Hilf dir selbst". Hier ist auch die Verbindung zum bereits angesprochenen Thema "Sei Dir selber Zuflucht".

"Eigner und Erbe meiner Taten bin ich, meinen Taten entsprossen, mit ihnen verbunden, habe sie zur Zuflucht. Welche Taten ich auch tue, gute oder schlechte, diese werden mein Erbe sein." [aus AN X,60]

Das ist übrigens eine der Kontemplationen, die der Buddha nicht nur den Ordinierten empfiehlt.

 


 


 

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