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Hīnayāna und Mahāyāna
Eine Meinung zur Kontroverse
 

von Dr. H.W. Schumann

Ein Artikel aus: "Der Mittlere Weg",
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

© Santuttho 2012


Unter Buddhisten wird immer wieder die Frage diskutiert, ob die Bezeichnungen, die für die beiden Hauptformen der Lehre üblich sind, den Kern der Sache treffen oder ob sie durch korrektere Ausdrücke ersetzt werden können. Soll man weiter vom "südlichen und nördlichen" Buddhismus sprechen? Kann man auch in Zukunft von "Hīnayāna und Mahāyāna" oder "Theravāda und Mahāyāna" reden? Alle diese Ausdrucksweisen sagen über die essentiellen Unterschiede zwischen den konkurrierenden Schulen nichts aus.

"Südlicher" und "nördlicher" Buddhismus bezeichnen das hauptsächliche Verbreitungsgebiet der Buddhalehre und entspringen als Bezeichnungen einem historischen Zufall. Der Ausdruck "Hīnayāna", "Kleines Fahrzeug" über den Ozean des Leidens, ist eine Wortprägung der Spätbuddhisten, die damit den Frühbuddhismus als unbedeutend abtun wollten und die es ihnen ermöglichte, ihre Version der Lehre als überlegenes, als "Großes Fahrzeug" (Mahāyāna) hervorzuheben. Ihre Stichelei gegen die Frühbuddhisten ist im Saddharmapuṇḍarika Sūtra (Kapitel 3) nachzulesen: Nur einen Bruchteil der Lehrdarlegungen des Buddha hatten seine zeitgenössischen Hörer, unkonzentriert, wie sie gewesen seien, ins Gedächtnis aufnehmen können. Das Wort Theravāda, "die Lehre der Alten", wird von den Mahāyānins gemieden, denn ein Thera ist ein Mönch von zehn Jahren Schulung im buddhistischen Orden. Um sich von den frühen Theras abzuheben, hätten sich die Spätbuddhisten als Navācārins, als "Neuerer" der Buddhalehre bezeichnen müssen, was ihnen natürlich widerstrebte.

Lassen sich für die beiden buddhistischen Schulen Namen finden, die etwas über ihre Lehrinhalte aussagen? Die Antwort ist: Ja.

Denn die Lektüre des Pāli-Kanons erweist, dass der historische Buddha Siddhattha Gotama (nach neuer Lehrmeinung ca. 470 - 390 vor Chr.) sich mit seinen Lehraussagen auf den Bereich der Immanenz beschränkt hat: Er hütet sich davor, Behauptungen aufzustellen, die jenseits der innerweltlichen Erfahrbarkeit liegen. Auch wenn er Götter (deva) erwähnt und von der ausgleichenden Gerechtigkeit des Kamma (Skt. karman) spricht: Die Götter waren in seinen Augen höhere, aber nichttranszendente, zudem in Heilsfragen unwissende Wesen,
und das Kamma betrachtete er als eine Weltgesetzlichkeit wie andere, z.B. die Schwerkraft: es vollzieht sich automatisch ohne göttliche Aufsicht. Die Bescheidung des Buddha auf Aussagen zum Weltinnenraum ist auch der Grund, warum der Urbuddhismus sich mit den modernen Naturwissenschaften gut verträgt. Das beschreibende Wort für den denkerisch im Welt-Innenkreis verbleibenden Urbuddhismus ist deshalb: Immanenzbuddhismus. "Immanere" heißt im Lateinischen "darin bleiben".

Der Ausdruck Transzendenter Buddhismus ist abgeleitet vom lateinischen Wort "transcendere", "hinübersteigen", nämlich vom innerweltlichen zum jenseitigen, überweltlichen Denkbereich, in dem nicht Erkenntnisse, aber alle Arten von Spekulationen möglich sind. Vom 2. Jahrhundert nach Chr. ab nennen ihn seine Begründer "Mahāyāna". Er entstand im 1. Jahrhundert vor Chr. in Indien - just in der Zeit, als dort das Schreiben (genauer: Einritzen des Textes) auf Palmblätter üblich wurde. Von Beginn an trat der Transzendenzbuddhismus mit handgeschriebenen Büchern (in Sanskrit-Sprache) auf und hätte ohne diese Verbreitungshilfe schwerlich am Theravāda vorbei Fuß fassen können.

Der Transzendente (= Mahāyāna-)Buddhismus zögert nicht, Aussagen zu machen, die über die Erfahrungswelt hinausgreifen. Seine Bücher, die mit gigantischen Zahlen protzen und einen figurenreichen Himmel nichtrealer Personen entwerfen, sind voller Fabeln und Legenden. An Stelle eines einzigen Buddha für jede Zeitepoche gibt es in ihnen "Buddhas wie Sandkörner am Ganges-Strom". Fünf transzendente Buddhas bilden eine Windrose, in deren Zentrum Vairocana residiert. Zwei der transzendenten Buddhas - Amitābha im Westen und Akshobhya im Osten - sind Hüter von Zwischenparadiesen (kshetra), in die Gläubige hineingeboren werden können. Nach Aufhebung ihres Restes von kammischen Verunreinigungen gehen sie von dort direkt ins Nibbāna (Skt. nirvāṇa) ein.

Beliebter noch als die transzendenten Buddhas sind die transzendenten Bodhisattvas, vornan der meist mehrarmig dargestellte Avalokiteshvara. Das Wort "Bodhisattva", - vom historischen Buddha nur angewandt, wenn er von sich selbst in der Zeit vor seiner Erleuchtung (bodhi) sprach, - verwendet der Transzendenzbuddhismus zur Bezeichnung von transzendenten Erlösungshelfern, die in höherem Zustand nicht mehr den Naturgesetzen unterworfen sind und sich total der Erlösung der Wesen vom Leiden verschrieben haben. Der populärste Bodhisattva ist Avalokiteshvara, den man, wie es heißt, jederzeit durch das Mantra "Oṃ. Mani padme. Hūm" zur Hilfe herbeirufen kann. Von diesem erträumten Heilshelfer, der sich vervielfachen könne und dessen Kammaschatz zur Verteilung unerschöpflich sei, - von diesem fabulösen Retter erwartet die Mehrheit der Transzendenzbuddhisten die Erlösung.

Vom historischen Buddha Gotama (Skt. Gautama) stammt die Erkenntnis, dass jegliches Dasein mit Leiden (dukkha) verbunden ist und dass nur der eigene Sieg über Gier, Hass und Verblendung zum Nibbāna führt. Der Transzendenzbuddhismus propagiert dagegen Heilswege, die der Wunschfantasie entsprungen sind und in denen transzendente Gestalten die Erlöserrolle innehaben. So entstand eine Kirchengemeinde, in der auch Reliquienverehrung, das Rezitieren von religiösen Texten, das Darbringen von Blumen und Räucherwerk und die Herstellung von Buddhabildern ihren Platz haben. Kein Wunder, dass eine solche Religion Zulauf hat.

 

Anmerkung:
hier finden Sie eine Liste seiner Werke

 

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