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Trost oder Herausforderung?
 

von Prof. Richard Gombrich

Übersetzung aus dem Englischen von Kristina Rüffler

screenshot phoenix 2010


Professor Gombrichs Grundsatzrede für die internationale Konferenz zur Verbreitung des Theravada-Buddhismus im 21. Jahrhundert in Salaya, Bangkok, Sept./Okt. 2010:


Herzlichen Dank an den ehrwürdigen Sugandho, der mich freundlicherweise eingeladen hat, diese Grundsatzrede zu halten. Ich hoffe aufrichtig, dass ich ihm keinen Anlass geben werde, diese Einladung zu bedauern.

Vor einigen Jahren haben zwei amerikanische Religionssoziologen namens Glock und Stark ein vielbeachtetes Buch über das Christentum und das heutige Amerika geschrieben. Der Titel war "Trösten oder herausfordern". Damit die christlichen Kirchen in den Vereinigten Staaten ihre Religion verkaufen konnten, mussten sie sich darauf fokussieren, was die Menschen sich von einer Religion erwarten, und die Kirchen mussten entscheiden, bis zu welchem Ausmaß sie bereit waren, diese Erwartungen zu erfüllen. Am meisten wünschen sich die Menschen Trost. Das Leben ist schwer, die Welt erscheint oft ungerecht, und der Tod ist eine erschreckende Perspektive, soweit man nicht überzeugt ist , dass er das Tor zu etwas Besserem ist als das irdische Dasein. So wie kleine Kinder glauben, dass ihre Eltern die Macht haben, alle ihre Wünsche zu erfüllen und ihre Kümmernisse zu beseitigen, so wollen auch die Menschen gerne glauben. Sie sind sehr leicht davon zu überzeugen, dass das Universum auf die gleiche Weise funktioniert: dass da jemand ist, der sich um sie kümmert und der dafür sorgt, dass am Ende alles gut ausgeht.

Alle Weltreligionen außer dem Buddhismus arbeiten mit diesem tröstlichen Bild, sogar größere buddhistische Glaubensgemeinschaften wie Jodo Shinshu (Reiner Land-Buddhismus) bieten es an. Die Religionen unterscheiden sich darin, welches Maß an Wohlverhalten der "Große Elter im Himmel" einfordert dafür, dass er Trost und Beistand spendet (ich sage "er", denn meist stellt man sich eher einen Vater als eine Mutter vor. Aber ich spreche hier von einem geschlechtsunspezifischem Elter1). In manchen Religionen wird von den kleinen Kindern - also von der Menschheit - nichts weiter verlangt als dass sie an den Großen Elter glauben und um seine Hilfe bitten. Sie müssen nur seine Allmacht anerkennen und er verzeiht ihnen alles. In anderen Religionen wird der Elter zunächst einmal für Strafe sorgen bevor er ihnen seine Gnade erweist. Die schlimmste Bestrafung werden hier oft jene erhalten, die nicht an den Großen Elter glauben und es deshalb nicht verdienen, an seiner Güte teilzuhaben.

Etablierte religiöse Institutionen haben also in erster Linie mit Trost und Beistand zu tun, und ihr Personal betrachtet diese Dienstleistung als oberste Aufgabe. Aber wenn wir an die Begründer der Religionen und an die großen Reformer denken, dann hatten sie meistens das Bedürfnis, ihre Zuhörer herauszufordern, den Status quo zu kritisieren und zu verlangen, dass die Menschen ihr eigenes Leben und das ihrer Mitmenschen moralisch verbessern. Jesus zum Beispiel predigte Vergebung, aber über Sünden konnte er auch wütend werden. Die Bergpredigt zeigt, wie er sich den Werten, die die Welt regieren, widersetzte. Er versprach darin, dass in Zukunft "die Letzten die Ersten sein werden". Für die meisten von uns ist dies keine tröstliche Botschaft, und das sollte es auch nicht sein.

Die Religionen sind also mit dem Problem konfrontiert, dass im Großen und Ganzen gerade die Gründe ihres Entstehens überhaupt nicht im Einklang stehen mit dem, was die Menschen von den Religionen eigentlich bekommen möchten. Ihre Begründer und die meisten ihrer Heiligen waren voller Feuer: sie wollten, dass die Menschen aufwachen, dass sie erkennen, wie selbstgefällig und selbstzufrieden sie geworden waren, wie gleichgültig sie dem Bösen begegnen und wie faul sie darin sind, Gutes zu tun, dass die meisten von ihnen kein moralisches Gewissen mehr haben und nicht viel besser sind als Büffel, die sich im Schlamm suhlen.

Eine derartige Botschaft zu überbringen, ist oft gefährlich. In den meisten Ländern und zu den meisten Zeiten in der Geschichte haben jene, die die herrschenden Bedingungen gegeißelt haben, mit schwerer Bestrafung, ja sogar mit dem Tod rechnen müssen. Ihre Nachfolger nannten sie dann Märtyrer, "Zeugen" der Wahrheit. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich wohl nicht zum Märtyrer gemacht werde, egal ob Sie, meine Zuhörer, die Herausforderungen, die ich heute an Sie herantrage, nun mögen werden oder nicht. Ich brauche also nur wenig Mut, um Ihnen ein paar meiner Meinung nach unangenehme Wahrheiten mitzuteilen. Und wie sehr ich Sie auch verletzen mag, so bitte ich Sie, mir zumindest Aufrichtigkeit zuzugestehen, denn ich spreche aus leidenschaftlicher Überzeugung. Am Anfang meines letzten Buches "Was der Buddha dachte" (What the Buddha Thought) habe ich geschrieben, dass meiner Meinung nach die Ideen des Buddha "Teil der Erziehung jedes Kindes auf der ganzen Welt sein sollten und dass dies dazu beitragen würde, aus der Welt einen besseren Ort zu machen, in dem es freundlicher und intelligenter zugeht". Weiter schreibe ich, dass das Versagen des buddhistischen Establishments, die Botschaft des Buddha zu verstehen, sie zu lehren und danach zu handeln, bei mir ein kontinuierliches Entsetzen auslöst. Dieses Versagen, dieses tragische und schuldhafte Versagen muss auf dieser längst überfälligen Konferenz zum Thema gemacht werden.

In seinem Bericht über die Grundlagen der Konferenz stellte der verehrte Sugandho die Frage, warum sich der Theravada-Buddhismus nicht mehr so rasch ausbreitet wie früher. Schließlich ist der Theravada-Buddhismus der Hüter der ältesten und reinsten Tradition der buddhistischen Botschaft, und ich glaube, dass die meisten, die heute hier unter uns sind, den moralischen Wert und die intellektuelle Brillanz dieser Botschaft mit zum Besten zählen, was die ganze menschliche Geschichte je hervorgebracht hat. Wenn wir also so ein gutes Produkt haben, warum können wir es dann nicht verkaufen?

Ich schlage vor, auf diese Frage Antworten anzubieten, und zwar so detailliert wie es unsere Zeit erlaubt. Und zumindest werden Sie, glaube ich, zustimmen, dass - wenn an der Botschaft nichts verkehrt ist - es dann vermutlich an den Überbringern dieser Botschaft liegen muss.

Lassen Sie mich zu Beginn noch einmal auf Trost und Herausforderung zurückkommen. Wie der verehrte Sugandho in seinem Konferenzpapier geschrieben hat, ziehen die Glaubensboten des Theravada offensichtlich den Trost der Herausforderung vor. Anstatt den Buddhismus bei den Einheimischen ihrer Gastländer zu verbreiten, betreiben sie hauptsächlich kulturelle Zentren für die buddhistischen Einwanderer aus ihren Ursprungsländern, und zwar nicht in der Sprache des Gastlandes sondern in singalesisch, burmesisch, thai, etc. Ein solches Zentrum zu betreiben ist an sich keine schlechte Sache: in der heutigen Welt betrachten es die meisten Länder als Teil ihrer diplomatischen Mission, Kulturattaches und Konsulardienste anzubieten. Aber wenn sich die Mission der Buddhisten allein darauf beschränkt, dann ist das ein sehr ernstzunehmendes Signal für die darunter liegende Schwäche des Theravada-Buddhismus in der heutigen Welt: sein engstirniger Provinz-Nationalismus, Es ist einfach empörend, dass die meisten Theravada-Buddhisten - egal ob Laien oder Mönche - nur Buddhisten ihres eigenen Landes als wahre Buddhisten anerkennen. Was immer sie laut sagen mögen - das ist es, was die meisten von ihnen insgeheim denken.

Es ist völlig natürlich und unwidersprochen, dass Menschen warme Gefühle für ihre eigene Familie hegen und darüber hinaus auch für jene, mit denen sie Sprache, Gebräuche und Erfahrungen teilen. Aber es steht kein einziges Wort in den Lehrreden des Buddha - genau so wenig wie bei Jesus oder dem Propheten Mohammed - mit dem man rechtfertigen könnte, dass jemand weniger gut behandelt wird, nur weil er anders ist als wir oder uns auf irgendeine Weise fremd ist. Man bezeichnet Buddhismus, Christentum und Islam als universelle Religionen genau aus diesem Grund: weil sie gleichermaßen für jeden Menschen da sind. Die großen religiösen Traditionen lehren allesamt, dass die Menschen sich lieben sollten, dass sie Freundlichkeit und Mitgefühl üben sollten. Damit meinen sie, dass man alle Menschen lieben sollte, nicht nur jene, bei denen es leicht fällt. Jemanden zu lieben, der immer gut zu einem ist, ist nicht mehr als das, was die meisten Tiere instinktiv tun. Liebe wird erst dann zu einer ethischen Errungenschaft, wenn sie unsere Feinde oder schwer zu liebende Menschen mit einschließt.

Aber wie benehmen sich Theravada-Buddhisten? Lassen Sie mich mit einem altbekannten und unbestreitbaren Beispiel beginnen: ihre Haltung gegenüber den Mahayana-Buddhisten (ich weiß, dass es umgekehrt auch nicht besser ist, aber darum geht es mir nicht: ich spreche hier zu Theravada-Buddhisten). Ich habe umfangreiche Feldarbeit zu diesem Thema unter singhalesischen Buddhisten geleistet, besonders unter Mitgliedern des singhalesischen Sangha, vom höchsten bis zum niedrigsten. Ich kann mit Überzeugung sagen, dass fast alle singhalesischen Buddhisten der Auffassung sind, Mönche und Nonnen aus der Mahayana-Tradition seien keine echten Buddhisten, weil es dort nicht verboten ist, nach Mittag feste Nahrung zu sich zu nehmen.

Den Laien mögen solche Vorurteile verziehen werden, da sie vom Sangha nicht korrekt angeleitet werden. Aber zumindest der Sangha sollte wissen, dass universelle Liebe weit über das Lehren von Metta Bhavana hinausgeht. Er sollte auch wissen, dass der Buddha in seiner Weisheit erklärt hat, dass es drei Fesseln (in Pali: tini samyojanani) gibt, die uns an den Samsara binden und die grundlegende Hindernisse sind für den spirituellen Fortschritt. Die zweite Fessel ist das Festhalten am Ritualismus. In Pali heißt das silabbata-paramaso. Es würde zu lange dauern, diesem Thema von enormer Bedeutung wirklich gerecht zu werden, aber das Thema ist doch so ausschlaggebend für meine Argumentation, dass ich näher darauf eingehen muss.

Der Buddha hat erklärt, dass der ethische Wert allein in der Absicht liegt. Das Individuum ist autonom, und die letztendliche Autorität ist sein Gewissen. Das Rezitieren von Wörtern, sogar solchen wie den Fünf Tugendregeln, ist völlig sinnlos und nutzlos, solange man nicht wirklich ihre Bedeutung verinnerlicht. Dagegen liegt der Sinn eines Rituals im Tun und nicht in der Absicht. Deshalb können Rituale keinen moralischen oder spirituellen Wert haben. Bitte behalten Sie dies im Gedächtnis.

Der Buddha hat alten Wörtern oft neue Bedeutungen gegeben. Er nahm das brahmanische Wort für Ritual, karman in Sanskrit, und benutzte es als Begriff für ethische Absicht. Dieser einzige Bedeutungswechsel hat eine an ein Kastensystem gebundene Ethik gekippt, denn man kann nicht einleuchtend behaupten, dass die Absicht eines Brahmanen ethisch völlig verschieden ist von der Absicht eines Paria: Absicht kann nur entweder tugendhaft sein oder schlecht.

Dass der Buddha rituelles Handeln durch ethische Absicht ersetzt hat, ist die eigentliche Grundlage, der Fels auf dem die Ideen seiner Lehre gebaut sind. Gleichermaßen ist es auch die Grundlage für den historischen Erfolg des Buddhismus. Da Absicht bei allen menschlichen Wesen gleich ist, ist die buddhistische Ethik in jeder menschlichen Gesellschaft gleich anwendbar. Die dritte Tugendregel zum Beispiel über sexuelles Fehlverhalten gilt überall, aber sie wird unterschiedlich angewendet, weil die Sitten unterschiedlich sind: in manchen Gesellschaften ist beispielsweise Polygamie erlaubt, in anderen Polyandrie, in wieder anderen nichts von alledem. Unterschiedliche örtliche Sitten waren deshalb kein Hindernis bei der Verbreitung des Buddhismus. Ich habe geschrieben: "Da der Buddhismus weder an eine bestimmte Gemeinschaft noch eine Örtlichkeit, weder an einen Altar noch an eine Feuerstelle gebunden war sondern in den Herzen seiner Anhänger wohnte, konnte er sich leicht verbreiten." Der Buddhismus konnte überall dahin gehen, wo die Menschen hingingen und er konnte da Wurzeln schlagen, wo sich die Menschen niederließen. Aber das, was sich ausbreiten kann, das ist der Buddhismus des Buddha, der sich nur um moralische Werte kümmert, mit der Absicht als Maßstab. Ein Buddhismus, der sich Rituale und Gebräuche als Maßstab nimmt, kann sich niemals irgendwohin ausbreiten: er ist wie der Brahmanismus, dem die Kritik des Buddha gegolten hat und der niemals - damals wie heute - von einer anderen Gesellschaft übernommen wurde als der, in der er seine Anfänge hatte.

Dies, meine verehrten Freunde, ist der Kern und das Anliegen meiner heutigen Botschaft. Ich bitte Sie von Herzen: hören Sie auf, sich obsessiv mit Ritualen und Gebräuchen zu beschäftigen, befolgen Sie statt dessen die Lehre des Buddha von der ethischen Absicht und tragen Sie so seine Botschaft in die Welt hinaus.

Ich habe erwähnt, dass nur sehr wenige singhalesische Buddhisten bereit sind, Mahayana-Buddhisten als Mitglieder ihrer Religion anzuerkennen, aufgrund der Tatsache, dass der Mahayana-Sangha es erlaubt, nach Mittag Nahrung zu sich zu nehmen. Natürlich verachtet der Mahayana-Sangha, der in der chinesischen Tradition ordiniert ist, gleichermaßen seine Theravada-Brüder, weil er es für zwingend notwendig erachtet, dass wahre Buddhisten Vegetarier sind. Aber nur wenige Singhalesen wissen das. Es geht mir hier nicht um Retourkutschen irgendwelcher Art. Es geht um den wirklichen und massiven Schaden, den eine solche Haltung dem Buddhismus zufügt. Das singhalesische buddhistische Establishment ist so wenig bereit, den Wert des Mahayana-Buddhismus anzuerkennen, dass in den späten 1950er-Jahren, während der Invasion Tibets durch die Chinesen, als viele Mönche getötet und viele Klöster zerstört wurden und der Dalai Lama fliehen musste, die singhalesische Regierung nicht willens war, sich dem weltweiten Chor der Verurteilung anzuschließen. Die ostentativ "buddhistische" Regierung weigert sich immer noch, den Dalai Lama als großen spirituellen Führer anzuerkennen, und man hat ihn nie eingeladen, das Land zu besuchen. Was kann ein Außenstehender, der versucht, die Werte des Buddhismus einzuschätzen, davon halten, wenn ein Mensch, den die Welt als den größten lebenden Buddhisten betrachtet, derart schändlich behandelt wird?

Aber lassen Sie uns um der Sache willen einmal annehmen, der Mahayana-Buddhismus sei wirklich kein richtiger Buddhismus und dass wir mit Mönchen und Nonnen nichts zu tun haben wollen, die - so moralisch und spirituell sie auf persönlicher Ebene auch sein mögen - die Schändlichkeit besitzen, nach Mittag Nahrung zu sich zu nehmen. Lassen Sie uns unseren Blick weg von Sri Lanka auf ein anderes Heimatland des Theravada richten, auf Myanmar. Jeder in diesem Raum wird sich schon denken können, was ich gleich sagen werde. Trotz aller hektischen Zensur-Bemühungen der burmesischen Regierung konnte während der letzten Jahre die ganze Welt im Fernsehen verfolgen, wie Mönche ermordet und gefoltert wurden, nur weil sie friedlich darlegten, dass sie mit der Grausamkeit und Unmenschlichkeit der Regierungspolitik uneins sind. Natürlich konnten wir nur einen winzigen Teil der Gräueltaten sehen, aber allein das wenige muss jeden ernsthaften Buddhisten davon überzeugt haben, mit welcher Kaltschnäuzigkeit die Regierung sowohl die Rechte der Menschen im allgemeinen als auch die der lebenden Repräsentanten des Buddhismus im besonderen missachtet. Und was haben andere Regierungen mit dem Anspruch, Unterstützer des Theravada-Buddhismus zu sein, dagegen unternommen? Nichts, nicht einmal einen diplomatischen Protest hat es gegeben. Das sind eben Politiker, werden Sie vielleicht sagen, und von denen erwartet man sich nicht viel ethisches Verhalten. Aber was ist mit den Anführern des Sangha? Ich weiß, es gibt ein paar tapfere Einzelkämpfer, die sich in aller Stille bemühen, ein wenig von dem Leiden zu lindern, das die burmesische Regierung verursacht. Einige buddhistische Organisationen in Thailand haben öffentlich gegen das Foltern und Morden an den Mönchen protestiert. Aber, sofern ich mich nicht irre, hat in jedem Land mit Theravada-Tradition die Hierarchie beide Augen zugedrückt und nicht mehr Betroffenheit gezeigt als wenn die burmesische Regierung nur ein paar Mücken totgeschlagen hätte.

Es tut mir leid wenn ich das sagen muss, aber das, was die Menschen am meisten zu einer Religion hinzieht, sind Persönlichkeiten, die den Mut haben, sich gegen Grausamkeit und Ungerechtigkeit auszusprechen. Wo sind im Theravada Anführer-Gestalten wie der Dalai-Lama oder Thich Nhat Hanh? Echte religiöse Führer scheuen den Streit nicht. Wie ich schon sagte: sie müssen herausfordern. Unter den heutigen Anführern der Theravada-Sangha scheinen Debatten ein Tabu zu sein, von Herausforderungen ganz zu schweigen. Ihnen ist der Komfort endloser Selbstbeweihräucherung lieber. Ihnen ist es lieber, leere, nichtssagende, zurechtgedrechselte Resolutionen über den Weltfrieden auf die Welt loszulassen. Nicht ein einziger Soldat hat deswegen sein Gewehr abgelegt, nicht ein einziger Politiker wurde dadurch überzeugt, seinen Nachbarn zu lieben.

Ich weiß, dass einige Menschen wahrscheinlich eine Antwort parat haben auf meinen Einwand, dass buddhistische Hierarchien gegen die Verfolgung des Buddhismus, sogar die Ermordung von Mönchen durch fremde Regierungen, keinen Protest eingelegt haben. Ihre Antwort lautet: der Sangha sollte sich nicht mit Politik befassen. Lassen Sie uns diese Ansicht betrachten.

Ich bin auch der Meinung, dass der Sangha und die Politiker völlig verschiedene Rollen einnehmen müssen. Für den Buddhismus war es von Anfang an wichtig, dass der Sangha und die Laienschaft komplementäre Aufgaben übernehmen. Diejenigen, welche die Botschaft des Buddha ernst nehmen, haben der Welt zu entsagen, haben die Lasten und die Freuden eines Weltlings aufzugeben und sich den buddhistischen Grundsätzen zu widmen. Aufgabe des Sangha ist es, die Botschaft des Buddha lebendig zu halten, und das bedeutet die Bewahrung von buddhistischen Werten und ethischen Prinzipien. Der Sangha muss moralische Führerqualitäten haben, sonst ist er nichts wert. Viele Themen, von der Wirtschaft bis zur Sexualkunde, hat er den Laien zu überlassen. Von Mönchen und Nonnen wird weder erwartet, dass sie sich in die Untiefen des politischen Tagesgeschehens begeben noch dass sie Waffen tragen und kämpfen. Aber glauben Sie mir, dass der Sangha die Pflicht hat, führenden Politikern Rat zu spenden bezüglich der moralischen Prinzipien ihres Führungsstils und sogar bezüglich ihrer Kriegsführung, falls ein Krieg unvermeidlich ist. Warum sollten buddhistische Prinzipien, und zwar unter diesem Begriff, aus der Regierung und der Politik herausgehalten werden? Buddhismus ist doch keine Freizeitbeschäftigung oder irgendein unverbindliches Spiel, sondern er ist anwendbar auf alle Lebensbereiche.

Verbrechen wie Folter und Mord sind keine Angelegenheit der Politik sondern ein fundamentales moralisches Verbot. Jeder, der die Tatsache duldet, dass Folterer und Mörder Menschen sind, die Macht ausüben und über uns regieren, verdient es nicht, Buddhist genannt zu werden und auch nicht, Mitglied irgendeiner anderen Religion zu sein. Natürlich können Menschen, die in öffentlichen Institutionen eine herausragende Stellung erreicht haben, sich manchmal in einer heiklen Lage befinden, wenn der Staat offensichtlich falsch handelt. Aber das ist nun mal der Preis für ihre hohe Stellung. Am Ende der Falklandkriege zelebrierte der Erzbischof von Canterbury eine Messe in der St.Paul's Cathedral. Er leitete die Kirchengemeinde zu Gebeten für die Gefallenen beider Kriegsparteien an, nicht nur für die Toten der britischen Sieger. Man hörte, dass Margret Thatcher darüber sehr verärgert war. Aber das ist der Unterschied zwischen einem reinen Politiker und einem religiösen Anführer: der Erzbischof tat einfach nur seine Pflicht, wenn er den christlichen Werten folgte. Da Großbritannien ein demokratisches Land ist, ist er dabei kein großes persönliches Risiko eingegangen. Kirchenoberhäupter in Deutschland und Italien unter Hitler und Mussolini waren da in einer sehr viel schwierigeren Lage. Es ist allgemein bekannt, dass der damalige Papst Pius XII. sich nicht richtig verhalten hat, während einige Mitglieder des christlichen Klerus, sowohl Katholiken als auch Protestanten, den Mut und die Aufrichtigkeit besaßen zu protestieren, und sie wurden sogar Märtyrer, zu deren ewigem Ruhm und Herrlichkeit (ich bin kein Christ, aber in so einem Fall ist eine christliche Wortwahl sicher angebracht).

Wenn eine Person - ob Mönch, Nonne oder Laie beiderlei Geschlechts - sich entschlossen hat, der Gesellschaft den Rücken zu kehren und ein abgeschiedenes Leben zu führen, können wir nicht von ihr verlangen, dass sie sich zu Themen des öffentlichen Lebens äußert, wobei sie ohnehin nur wenig Gehör finden würde. Aber wenn diese Person damit einverstanden ist, eine Führerrolle in einer öffentlichen Institution wie dem Sangha zu übernehmen, dann muss diese Funktion auch mit moralischer Sensibilität ausgeübt werden und sie darf keine Gräueltat, die vor ihren Augen verübt wird, stillschweigend dulden.

Wenn die Anführer des Theravada-Sangha keinen Finger rühren um zu helfen oder ihre Stimme nicht erheben, um gegen die Misshandlung ihrer Brüder in anderen Ländern zu protestieren, dann hat das meiner Meinung nach nicht nur mit Feigheit und moralischer Gleichgültigkeit zu tun, sondern auch mit Nationalismus. In unserer modernen Welt haben die meisten Menschen eine stärkere Bindung zu Menschen der gleichen Nationalität als zu Menschen der gleichen Religion. Wenn ich meine nächsten beiden Beispiele aus dem singhalesischen Buddhismus beziehe, dann verstehen Sie das bitte nicht als spezielle Kritik an den Singhalesen: es ist nur einfach so, dass ich darüber besser Bescheid weiß.

Hier also mein erstes Beispiel. Das erste buddhistische Vihara, Wat, oder wie immer Sie es nennen mögen, wurde 1926 in London von dem singhalesischen buddhistischen Reformator Anagarika Dharmapala als Ableger der Maha Bodhi Society gegründet. Bis zum heutigen Tag steht dieses Kloster, jetzt unter dem Namen London Buddhist Vihara, unter der Aufsicht von Treuhändern, die zur Familie von Dharmapala gehören und in Sri Lanka leben. Das bedeutet, dass das Vihara nicht als Wohltätigkeitsorganisation in Großbritannien registriert werden kann, was wiederum bedeutet, dass es in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten steckt. Die meisten seiner Unterstützer sind Singhalesen, und die meisten seiner Aktivitäten sind auf diese gerichtet. Vor nicht allzu langer Zeit erhielt ich eine Einladung aus Colombo, Vorsitzender der Laien-Gruppe der British Maha Bodhi Society zu werden, mit dem Auftrag, diesen Bereich neu zu beleben. Als ich dann aber herausfand, dass alle wichtigen Entscheidungen, einschließlich der Ernennung des amtierenden Oberhauptes (der immer ein Singhalese ist,) immer noch von den Gremien in Colombo getroffen werden, da wurde mir klar, dass das zu nichts führen würde. Wie vielleicht einige unter Ihnen wissen, übt die Maha Bodhi Society unter singhalesischer Dominanz den gleichen Würgegriff auch auf ihre Institutionen in Indien aus.2

Das ist jetzt keine wirklich ernste Geschichte: verglichen damit, dass der Ermordung von Mönchen nichts entgegengesetzt wird, ist sie eher eine Bagatelle. Aber da das Ziel dieser Konferenz die Diskussion über die Verbreitung des Theravada-Buddhismus in der restlichen Welt ist, scheint sie mir doch von großer Relevanz zu sein.3

Bleiben wir weitgehend bei diesem Thema und wenden uns der Geschichte singhalesischer buddhistischer Missionsarbeit im letzten Jahrhundert zu. Sri Lanka brüstet sich damit, die Insel des Buddhismus, Dhammadipa, zu sein, und damit eine geeignete Basis, von der aus der Buddhismus in die Welt verbreitet werden kann. Auf der Insel lebt aber auch eine nicht unbeträchtliche Minderheit von nicht-buddhistischen Tamilen, und sie liegt nicht weit von der Küste Tamil Nadus [Indien] entfernt. Trotz alledem wurden seit der Unabhängigkeit kläglich wenige Versuche unternommen, den Buddhismus zu den Tamilen zu tragen, geschweige denn zu denen auf dem indischen Festland. Missionen nach Westen hin haben ja so viel mehr Glamour. Wie viele Tamilen wurden seit 1947 in den Sangha ordiniert? Ich glaube keiner kennt die genaue Antwort auf diese Frage, aber alle würden zustimmen, dass es nicht mehr als eine Handvoll gewesen sein können.

Ich wiederhole, dass ich die Singhalesen nicht mit meiner Kritik herausheben möchte. Über andere buddhistische Länder - auch die, die nicht vom Theravada geprägt sind - könnte man ähnliche Geschichten erzählen. Aber wie wäre der Buddha damit umgegangen? Lassen Sie uns kurz innehalten und den Buddhismus in dieser Hinsicht mit dem Christentum und dem Islam vergleichen. Gewiss sind Nationalstaaten und die finsteren Emotionen, die sie hervorrufen können, ein Bestandteil der modernen Welt, und nationalistisches Gedankengut taucht auch plötzlich in Religionen auf, die eigentlich verkünden, alle Menschen seien Brüder. Aber im großen und ganzen respektieren doch die Anführer der Christen und des Islam - und sogar ihre Anhänger, sofern es um religiöse Themen geht - die Glaubensbrüder anderer Nationalitäten, und eine Zusammenarbeit ist möglich.

Aber zurück zu unserer Frage: warum ist für so wenige Menschen in der Welt der Theravada-Buddhismus eine ernsthafte Option? Die Menschheit hat zwei große moralische Probleme: ich nenne sie Sex und Gewalt. Ich werde über beide Probleme sprechen. Und nachdem ich schon Mord und Nationalismus angesprochen habe, werde ich zunächst näher auf Gewalt eingehen.

Der Buddhismus bezeichnet sich als Religion der Gewaltlosigkeit, Ahimsa. Es ist deshalb nur natürlich, dass die Menschen wissen wollen, wie er sich diesem Anspruch stellt. Nach meiner Erfahrung fragen die Menschen, ob die neuere Geschichte von Sri Lanka, Myanmar, Thailand, Laos und Kambodscha, den fünf Theravada-Ländern also, bessere Ergebnisse vorweisen kann als die anderer Länder. Die Antwort ist, wie wir alle wissen, mehr als unangenehm. Sri Lanka hat vor kurzem einen Bürgerkrieg beendet, der über 25 Jahre gedauert hat, also eine ganze Generationenspanne lang, und die neue Regierung zeigt alarmierende autoritäre Tendenzen. Die Zentralregierung von Myanmar, die keinerlei demokratische Legitimation besitzt, bekämpft die Minoritäten des Landes seit noch längerer Zeit, und Millionen Menschen sind seither geflohen. Thailand steht besser da, aber auch da gab es in den letzten beiden Jahren zahlreiche ernsthafte, zum Teil gewalttätige Auseinandersetzungen. Im Mai dieses Jahres wurden Menschen, die im Herzen Bangkoks in einem Kloster Zuflucht gesucht hatten, von denen getötet, die einige als die Vertreter von Recht und Ordnung bezeichnen. Der letzte militärische Staatsstreich liegt nur vier Jahre zurück, im tiefen Süden des Landes herrscht Unfrieden, und es gibt Säbelrasseln bei einem Grenzstreit mit Kambodscha, einem Theravada-Nachbarland. Laos (über das ich nicht gut Bescheid weiß) ist nicht wirklich friedlich, und das arme Land Kambodscha hat sich unter Pol Pot fast selbst ausgelöscht.4

Lassen Sie mich gleich hinzufügen, dass diese Aufzählung sehr ungenau ist, wie ich weiß. In einigen Fällen kann man nicht die buddhistische Bevölkerung oder Regierung in erster Linie für die Gewalt verantwortlich machen. Ich will hier nur folgendes sagen: diejenigen, die andere davon überzeugen wollen, dass der Theravada-Buddhismus die Welt in die Gewaltlosigkeit führt, können leider nicht demonstrieren, dass Theorie und Praxis auch nur im Geringsten übereinstimmen.

Diese Lücke zwischen Theorie und Praxis ist besonders groß, wenn wir die Gesetzgebung und insbesondere die Todesstrafe betrachten. Wenn es um die allgemeine politische Situation geht, muss man, wie ich schon sagte, mit Anschuldigungen sehr vorsichtig sein. Aber auf diesem Gebiet ist das anders. Welche Rolle spielt der Buddhismus, der Gewaltlosigkeit und grenzenlose Liebe propagiert, im öffentlichen Leben? Wir brauchen uns nur die erste Tugendregel anzuschauen: nicht zu töten. Mehr als die Hälfte aller Länder in der Welt haben die Todesstrafe abgeschafft. Dem Staat steht es also hier nicht zu, Leben zu nehmen. Auf der Liste der Länder ohne Todesstrafe stehen aber nur zwei buddhistische Staaten, nämlich Bhutan und Kambodscha. Dies trotz der Tatsache, dass es zahlreiche Studien darüber gibt, ob die Todesstrafe aufgrund der Abschreckung die Verbrechensrate senkt. Sämtliche Studien kommen zu dem Schluss, dass dies nicht der Fall ist. Es gibt also noch nicht einmal ein pragmatisches Argument für die Beibehaltung der Todesstrafe: sie dient nur der Befriedigung von Rachegelüsten.

Die Todesstrafe wird normalerweise bei einem sehr schweren Verbrechen wie Mord verhängt, und solche Verbrechen sind gewiss verabscheuungswürdig. Deshalb werden wir bezüglich unserer Prinzipien von Liebe und Gewaltlosigkeit wirklich auf die Probe gestellt, wenn es darum geht, diese Verbrecher human zu behandeln. Wenn jemand einen mir sehr nahe stehenden Menschen ermordet, dann ist es zu viel von mir verlangt, dass ich diesen Mörder liebe. Deshalb haben wir ein Rechtssystem, anstatt jedermann zu erlauben, dass er das Recht selbst in die Hände nimmt. Aber wie kann ich als aufrichtiger Buddhist vom Staat verlangen, dass er an meiner statt tötet? Und es gibt einen weiteren Punkt. Der Buddhismus sagt, dass jeder, der eine schlechte Tat begeht, dafür leiden muss: das ist das Gesetz von Karma und Vergeltung. Wenn wir an diesen fundamentalen buddhistischen Lehrsatz aufrichtig glauben, wie können wir es dann rechtfertigen, dass die Gewalt vervielfacht wird, indem wir über Morde richten und selbst zum Mörder werden?

Lassen Sie mich klar sagen: ein Staat, der die Todesstrafe verhängt, korrumpiert damit seine Bürger und stellt sich gegen die Lehre des Buddha. Ich war Teilnehmer einer riesigen internationalen Vesak-Konferenz hier in Bangkok, als bei einem Podiumsgespräch ein Norweger aus dem Publikum einbrachte, dass die Todesstrafe unvereinbar sei mit buddhistischen Grundsätzen und abgeschafft werden muss. Ich war schockiert über die aalglatte Antwort aus dem Gremium: diese Frage sei schwierig zu beantworten, weil sich viele Menschen in Thailand für die Todesstrafe aussprächen. Ist es denn nun Aufgabe des Sangha, sich mit der Masse gemein zu machen oder als moralisches Vorbild zu fungieren?

Auch hier wieder will ich kein spezielles Land herausgreifen. Schließlich hat sich der Norweger gegen die Todesstrafe vor Sangha-Mitgliedern aller Theravada-Länder ausgesprochen, und bei keinem einzigen Mitglied hat er Unterstützung gefunden. So viel zur Religion des universellen Mitgefühls.

Ich komme nun zur Geschlechterfrage und der Behandlung von Frauen. Die menschliche Rasse besteht zur Hälfte aus Frauen: wie geht die Religion des universellen Mitgefühls heute mit ihnen um?

Der Status der Frau in der Welt hat sich verändert, und ich glaube, dass wir zur globalen Bedeutungslosigkeit verurteilt werden, solange wir dieser Veränderung nicht Rechnung tragen. Wenn wir es im knallharten aber zutreffenden Idiom der Wirtschaft ausdrücken wollen, dann waren Frauen immer, soweit wir wissen, die treuesten Konsumentinnen der Religion. Vielleicht weil sie es schwerer haben als die Männer auf dieser Welt und sie deshalb auch mehr Trost brauchen? Ich glaube, dass die Frauen auch weiterhin den größten Teil unserer Kundschaft ausmachen werden, aber mit einer neuen Einstellung und neuen Erwartungen. In der Vergangenheit sind den Frauen Führungsrollen in den Weltreligionen, so wie überall im öffentlichen Leben, weitgehend verwehrt worden. Die Ökonomie hat einen Rollenwechsel der Frauen in der Gesellschaft herbeigeführt, da Muskelkraft immer mehr an Bedeutung verlor und gleichzeitig mehr Verstandestätigkeit gefragt war. In einer hoch entwickelten Wirtschaft ist der Dienstleistungsbereich wichtiger geworden als die Landwirtschaft und die Produktion, und in diesem Bereich - ausgenommen einer kurzen Babypause - haben Frauen von Natur aus keinerlei Nachteile. Die moderne Wirtschaft braucht alle verfügbaren geistigen Ressourcen, sodass Gesellschaften, in denen vielen Frauen lediglich die Hausfrauenrolle zugeteilt wird, buchstäblich in die Verarmung getrieben werden. Mit jeder weiteren Generation erreichen die Frauen mehr Wohlstand und mehr Einfluss, und wenngleich sie noch weit den Männern hinterherhinken, wird der Abstand doch immer geringer. Vor allem aber werden sie immer selbstbewusster. Sie haben es satt, von Männern herum kommandiert zu werden, und das sagen sie auch immer öfter, und sie wehren sich dagegen.

Alle Weltreligionen haben den Frauen traditionell untergeordnete Rollen zugewiesen. Sie müssen jedoch ihre Strategie ändern, wenn sie überleben wollen. Bei den Protestanten gibt es inzwischen weibliche Pfarrer. Jetzt muss die anglikanische Kirche sogar über weibliche Bischöfe nachdenken. Die römisch-katholische Kirche hat enorm viele Mitglieder und ist sehr effizient und zentralistisch organisiert, sie scheint jedoch in zunehmendem Tempo Anhänger zu verlieren. Vor einigen Tagen hörte ich in den BBC-Nachrichten, dass laut einer Umfrage unter Katholikinnen in Großbritannien fast zwei Drittel unzufrieden sind mit der Haltung der Kirche den Frauen gegenüber. Über Moslems, die nicht so häufig in Ländern mit hoch entwickelter Wirtschaft leben, weiß ich nicht Bescheid, aber die Stimme des weiblichen Protestes wird auch bei ihnen zu hören sein.

Soviel hierzu. Es ist eine klare Sache, dass eine Religion, die heute ihre Popularität steigern will, die Frauen mindestens ebenso ansprechen muss wie die Männer. Wie verhält es sich nun mit dem Theravada-Buddhismus?

Wenn man die Schriften und die alten Traditionen zugrunde legt, dann müsste er in der Tat die Frauen stark ansprechen. Aber er hat diese Vorzüge verwirkt, und zwar in einem solchen Ausmaß, dass er sich meiner Meinung nach in den Ländern, in denen die Frauen sozial gleichgestellt sind, nicht weiter ausbreiten kann.

Ich möchte auf drei Punkte eingehen, die ich sowohl auf praktischer wie auch auf moralischer Ebene für sehr wichtig einschätze.

Erstens: die Menstruation. Während ihrer fruchtbaren Jahre bluten Frauen jeden Monat einige Tage lang. In manchen vormodernen Gesellschaften galt dies als schmutzig oder unrein. In manchen Kulturen gibt es Mythen, dass dies die Folge eines alten Fluchs sei. Bei den Brahmanen verlangt die orthodoxe Tradition, dass während dieser Zeit im Monat die Frauen abgesondert und von heiligen Gegenständen und Feiern ferngehalten werden. Das ist natürlich ein rituelles und kein moralisches Verbot. Gemäß seinem bereits besprochenen Prinzip, dass das Anhaften an Riten ein großes Hindernis für die spirituelle Entwicklung sei, hat der Buddha die Menstruation ignoriert, da sie für seine Lehre ohne Relevanz ist. In Sri Lanka, wo sich die ursprünglichste Form des Buddhismus erhalten hat, kennt man das Konzept der menstruellen Unreinheit (das singhalesische Wort ist killa). Aber es ist auch allseits bekannt, dass es im buddhistischen Kontext nicht angewandt wird. Eine Frau, die vom Alter her menstruieren könnte, wird von keinerlei buddhistischer Aktivität, von keinerlei Kontakt mit Personen oder Gegenständen ausgeschlossen. Kurz: weibliche Unreinheit gibt es nicht im Buddhismus, so wie es sie auch nicht für den Buddha gegeben hat.

Ich weiß nicht, wie der Buddhismus in Thailand und Burma darauf gekommen ist, den Begriff weiblicher Unreinheit einzuführen. Aber dessen Befolgung richtet sich gegen den Buddha, öffnet dem Aberglauben Tür und Tor und stellt eine Beleidigung für die Frauen dar. Natürlich läuft die Erziehung der meisten Frauen, die in diese Länder hineingeboren wurden, darauf hinaus, weibliche Unreinheit als eine natürliche Gegebenheit anzusehen, und deshalb empfinden sie sie auch nicht als Beleidigung. Aber Frauen aus dem Ausland, die zum Beispiel den Buddhismus in Sri Lanka kennengelernt haben, fühlen sich sehr wohl beleidigt und abgestoßen.

Beim zweiten Punkt ist es noch weit schlimmer. In Thailand wurde der Vinaya [Anm.: die Ordensregeln] auf groteske Art verändert. Mönchen ist es nicht nur verboten, eine Frau zu berühren, sie dürfen auch nichts aus der Hand einer Frau direkt annehmen. Diese Neuerung findet nicht nur Anwendung bei menstruierenden Frauen oder bei Frauen eines Alters, in dem sie menstruieren könnten, sondern bei allen weiblichen Wesen, vom Baby bis zur Hundertjährigen. Es handelt sich deshalb hier nicht einfach um eine fehlgeleitete rituelle Obsession, sondern um echten Frauenhass, tiefe Abscheu und Furcht vor Frauen. Es geht um die Angst, dass der geringste Kontakt mit einem weiblichen Wesens genügt, um verführt und erregt zu werden. Wenn sogar Babies und kleine Kinder davon nicht ausgenommen sind, dann ist die Folgerung daraus so widerwärtig, dass ich sie nicht einmal beim Namen nennen will. Alle, die eine solche Regel aufgestellt haben und alle, die sie befolgen, bedürfen dringend einer Umerziehung. Sie müssen wieder lernen, dass Frauen und Mädchen Menschen sind und keine Objekte.

Über den dritten Punkt wird sehr viel häufiger diskutiert: Kann der Theravada den Bhikkhuni-Sangha, den Nonnenorden, nach der langen Pause in der Ordinierungstradition wieder aufleben lassen? Es gibt noch sechs Textversionen der Tradition des Vinaya. Die Tatsache, dass nicht einmal zwei davon darin übereinstimmen, wie Nonnen ordiniert werden sollen, und dass wir deshalb nicht sicher sein können, dass die Theravada-Version auf den Buddha zurück geht oder dass sie überhaupt die älteste Fassung ist, gibt den Historikern eine Menge Stoff, über den sie streiten können. Aber wenn es darum geht, den Theravada-Buddhismus zu erhalten, geschweige denn ihn erfolgreicher zu machen, dann ist das alles völlig unerheblich. Wenn es Frauen gibt, die wieder einen Sangha gründen wollen - warum sollte man sie aufhalten? Sollten wir ihnen nicht vielmehr dankbar sein und sie beglückwünschen? Was macht es schon, dass die Kontinuität des Ordinationsrituals unterbrochen wurde? Es ist doch nichts weiter als ein Ritual! Müssen wir denn alle in einer Welt von obsessiven Neurotikern leben? Lasst doch die Menschen, für die nur die Rituale wichtig sind, nach Herzenslust herumkritteln und lasst jene, für die der Geist zählt und nicht der Buchstabe und die gemäß der Lehre und den Prinzipien des Buddha leben wollen, die einzige Entwicklung begrüßen, die meiner Meinung nach die Kraft hat, den Theravada-Buddhismus für viele weitere Generationen zu bewahren.

Wie also kann der Theravada-Buddhismus verbreitet werden? Wie kann er überhaupt gerettet werden? Die Antwort erscheint mir eindeutig. Wir müssen zurück zur Lehre des Buddha. Unsere Anführer müssen furchtlos aufstehen und der Welt kundtun, dass der Buddhismus auf sämtliche Lebensbereiche anwendbar ist, auf die privaten wie auch die öffentlichen. Wir müssen verstehen und unsere Handlungen danach ausrichten, dass Rituale keinen Wert an sich haben. Sie müssen über Bord geworfen werden, wenn es darum geht, nach dem Dhamma zu leben. Wir müssen begreifen, dass der Buddhismus für alle Menschen da ist, auch für Ausländer und für Frauen. Alle Menschen müssen das Ziel unserer Liebe und unseres Mitgefühls sein, so wie alle Menschen gleichermaßen moralische Verantwortung tragen. Ja, wir müssen den Buddha ernst nehmen!

Richard Gombrich

Salaya, Bangkok
30. September 2010

 

Anmerkungen:

1

[Wikipedia]: Elter ist die geschlechtsneutrale Bezeichnung für ein Mitglied der Parentalgeneration. Fand es ursprünglich in der Genetik und Verhaltensforschung als notwendiger wissenschaftlicher Begriff Verbreitung, so hält es zunehmend zur Vermeidung geschlechtsspezifischer Vorfestlegung und Diskriminierung im Rahmen einer politischen Korrektheit Eingang in die Alltagssprache. [zurück]

2

[Kommentar von Santuttho:] Als ein weiteres Beispiel sei hier "Das Buddhistische Haus" in Berlin genannt. Auch die anderen - mitunter skandalösen - Vorgänge dort, werfen mit Sicherheit kein gutes Licht auf die Lehre des Buddha. [zurück]

3

[Kommentar von Viriya:] Gerade jetzt werden in Thailand Stimmen laut, die thailändischen Klöster unter die Aufsicht der jeweiligen Botschaft zu stellen. Auslöser war eine Nonne, die in Indien um den Besitz eines Klosters geklagt hat. Passenderweise tun sich bei dieser Diskussion die selben Mönche hervor, welche die Existenz der Bhikkhunis leugnen. [zurück]

4

[Kommentar von Viriya:] Hier beschönigt Prof. Gombrich. Im Süden Thailands hat der Kampf gegen die malayische Minderheit seit 2004 weit über 3000 Tote gefordert und seit kurzem ist auch der Grenzstreit mit Kambodscha nicht mehr frei von Blutvergießen. Auch hier ist die Sanghahierarchie erstaunlich schweigsam. [zurück]

[ein Kommentar zum Text, dem sich auch Santuttho anschließt:]

es fehlen ein paar Dinge wie etwa:
Der elektrifizierte Mönch mit Handy, PC, Digitalkamera, der mehr Zeit vor
dem Bildschirm als auf dem Meditationskissen verbringt. Der seine Energie in
großartige Bauprojekte steckt, statt sich der Befreiung aus Samsara zu
widmen, der mehr Zeit auf interkontinentalen Flügen verbringt als am Fuße
eines Baumes. Der vorgibt die Lehre zu verbreiten um seine Lust auf neue
Eindrücke und soziale Anerkennung zu befriedigen. Der sich nur zu gerne von
Schülern weltweit einladen lässt, sich hofieren, herumführen und bewundern
lässt für kluge Worte und Erkenntnisse die er irgendwann einmal vor seiner
Meditationsmeisterkarriere gemacht hat. Der in seinem Mönchsleben mehr
gespendetes Geld ausgibt als er in einem anständigen Beruf verdienen könnte.
Der mit der ursprünglichen Bedeutung Bhikkhu-Bettler nichts mehr zu tun hat
und in keinster Weise mit wirklichen Bettlern oder auch nur Harz IV
Empfängern Solidarität zeigt. Der den Mächtigen und Spendewilligen um den
Bart geht um sich Vorteile zu sichern. Der Karriere in der Sanghahierarchie
macht.
Alles menschlich und verständlich, ja, aber auch lehrgemäß und auf Nibbana
ausgerichtet?
--- --- ---

Schließlich muss man doch zur Ordination sagen:
Sabba dukkha nissarana nibbana-sacchi-karanathaya - d.h. um alles Leiden zu überwinden, und um Nibbana [selbst) zu erlangen.

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