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Wer war Uddaka Rāmaputta? - Eine Antwort.
 

von Dr. H.W. Schumann

06. Februar 2010

Ein Brahmane
Museum für ostasiatische Kunst Berlin


I.

Schon den Buddhismusforschern des 19.Jahrhunderts war aufgefallen, dass zwischen den (in der Pāli-Sprache tradierten) Lehren des Buddha und den vor-buddhistischen (in Sanskrit überlieferten) Upaniṣaden-Büchern erstaunliche Parallelen bestehen, dass die beiden Lehrsysteme aber in der Frage der Existenz einer Seele unvereinbar sind. Die Upaniṣaden behaupten eine Seele (Skt. ātman), die die Kette der Wiedergeburten durchwandert, der Buddha hingegen bestreitet die Existenz einer solchen Seele und stellt als Gegenthese eine Nicht-Seelenlehre (P. an-attan) auf: die Wiedergeburt vollzieht sich ohne Seelenwanderung als Bedingtes Entstehen (paṭiccasamuppāda). Angesichts dieses Gegensatzes wagte keiner der Forscher, einen historischen Zusammenhang zwischen Upaniṣaden und Frühbuddhismus anzuerkennen. Man überbot sich in Versuchen, die Elemente des Pāli-Buddhismus aus dem Sāṃkhya, dem Yoga oder dem Jaina-System abzuleiten.

Noch moderne Indologen, so Professor Richard Gombrich von der Universität Oxford, äußern sich über die Zusammenhänge zwischen den Upaniṣaden und Frühbuddhismus sehr vorsichtig: "The central teachings of the Buddha came as a response to the central teachings of the old Upaniṣads, notably the Bṛhadāraṇyaka. On some points, which he perhaps took for granted, he was in agreement with the Upaniṣadic doctrine; on other points he criticised it." (Gombrich: "How Buddhism began". London 1996, p.31) Auch Gombrich, der im Pāli-Kanon mehrere Anspielungen auf die Upaniṣaden entdeckt hat (p.14), lässt die Frage nach der Kontaktstelle zwischen Upaniṣaden und Buddhadhamma offen. Von seinen früheren Mentoren Āḷāra Kālāma und Uddaka Rāmaputta konnte der Buddha seine Kenntnisse der Upaniṣaden nicht erworben haben, denn beide werden im Pāli-Kanon (in M 26,15-16) als Meditationslehrer beschrieben.

Dass Āḷāra, der erste Lehrer, dem sich der Erlösungssucher Siddhattha unterstellte, tatsächlich ein Meditationsmeister war, geht aus M 26,15 hervor. Bei Āḷāra lernte Siddhattha die vier Meditationsstufen (jhāna), die später seine Erwachung (bodhi) zum Buddha vorbereiteten (M 36,34-38). Dass Āḷāra über die Vier Jhānas hinaus auch Tiefenmeditation betrieb, wird deutlich aus D 16,4,27 wo es heißt, er habe einst, wach unter einem Baum sitzend, fünfhundert an ihm vorbei rumpelnde Ochsenkarren weder gesehen noch gehört, obwohl sie ihn mit dem aufgewirbelten Staub beschmutzten - so tief war er in Trance.

Den zweiten Mentor des Buddha, den Uddaka Rāmaputta, schildert der Pāli-Kanon (in M 26,16) ebenfalls als einen Meditationslehrer, aber diese Angabe korrigiert der Buddha selbst im Pāsādika-Suttanta (D 29). In einem Gespräch mit dem Novizen Cunda erinnert er sich an seinen einstigen Mentor Uddaka mit folgenden Worten:

Uddaka Rāmaputta war es, der zu sagen pflegte: 'Er sieht, (aber) er sieht (= erkennt) nicht.' Was ist es, Cunda, was er sieht und nicht sieht? Er sieht die Klinge eines scharf geschliffenen Rasiermessers, aber nicht die Schneide. Das ist es, was (Uddaka) meinte, wenn er sagte: 'Er sieht, (aber) er sieht nicht.' (D 29,16)

Das Gleichnis des Uddaka ist eine Parallele zum Gleichnis in der Chāndogya-Upaniṣad 6,12, die berichtet, dass Uddālaka Āruṇi seinen Sohn Śvetaketu einen der winzigen Kerne einer Feige spalten ließ und ihm dann in der nicht sichtbaren Feinheit (aṇiman) das Wesen der Welt, das Reale (satyam), die Seele (ātman) erklärt: 'Das bist du, Śvetaketu.' - Die Analogie der Gleichnisse erlaubt die Folgerung: Uddaka Rāmaputta, der zweite Mentor des werdenden Buddha, war ein Lehrer der Upaniṣaden. Wenn man anerkennt, dass der Buddha vor seiner Bodhi zu Füßen des Uddaka Rāmaputta saß und von ihm die (damals noch nicht niedergeschriebenen) Lehren der Upaniṣaden hörte, erklären sich die Zusammenhänge zwischen Upaniṣaden und der Buddhalehre völlig zwanglos.

 

II.

Freilich wäre es wünschenswert, dass sich zu dem einen Beleg für Uddakas Upaniṣadenzugehörigkeit in D 29,16 weitere beweiskräftige Textstellen im Pāli-Kanon fänden, aber solche zu entdecken wird schwierig sein. Die Upaniṣaden, soweit sie zur Buddhazeit bereits existierten, waren eine Geheimlehre und ihre Kenntnis war auf einen engen Kreis beschränkt. Der Buddha war durch seine Schülerschaft bei Uddaka ein Eingeweihter, seine Mönche hingegen nicht. Wenn er in den viereinhalb Jahrzehnten seiner Lehraktivität Anspielungen auf Uddaka oder upaniṣadische Thesen machte: Die Bhikkhus verstanden sie nicht und haben sie bei den Konzilen zur Zusammenstellung des Pāli-Kanons nicht zu Protokoll gegeben. Auch beim Rasiermessergleichnis des Uddaka ging ihnen nicht auf, dass der Buddha das Gleichnis des Uddaka deshalb verwarf, weil er den upaniṣadischen Ātman-Glauben für falsch hielt, den Uddaka damit beweisen wollte. Die Textüberlieferer schrieben seine Ablehnung des Gleichnisses der Profanität des Rasiermessers zu. Es ist ein Glücksfall für moderne Dhammainterpreten, dass die Äußerung überhaupt in den Pāli-Kanon gelangt ist.

 

III.

Der Buddha machte aus dem Nutzen von empfangenen Belehrungen kein Geheimnis und erklärte: "Für das Entstehen Rechter Ansicht gibt es zwei Bedingungen: Die Stimme eines anderen (= Lehrers) und eigenes Nachdenken" (M 43,13). Die Auffassung, dass ein Buddha dadurch definiert sei, dass er die Bodhi allein, ohne Unterweisung von außen gefunden habe, scheint eine spätere orthodoxe Festlegung zu sein.

Die folgenden Erkenntnisse machen die Lehre des Buddha aus:
1. Die Wesen unterliegen dem Zwang zur Wiedergeburt.
2. Die Art der Wiedergeburtsexistenz und das Umfeld ihres neuen Daseins werden bestimmt durch die Qualität der Taten (kamma).
3. Der leidhafte Wiedergeburtenkreslauf (saṃsāra) wird angetrieben durch die Gier (taṇhā).
4. In den Lebewesen gibt es keine ewige Seele (P: attan): sie sind an-atta, ohne Seele. Die Wiedergeburt vollzieht sich ohne durchgehenden Seelenfaden als Bedingtes Entstehen (paṭiccasamuppāda).

Drei dieser vier buddhistischen Lehrinhalte sind bereits in den Upaniṣaden Bṛhadāraṇyaka und Chāndogya nachzuweisen, die etwa dreihundert Jahre vor der Lebenszeit des Buddha entstanden sind. Sie finden sich an folgenden Stellen:
1. Wiedergeburt: BaU 4,4,3-4.
2. Kamma (Skt. karman): BaU 3,2,13; 4,4,5; ChU 5,10,7.
3. Antrieb der Wiedergeburt durch die Gier (kāma): BaU 4,4,6.
4. Das vierte Lehrmotiv, den upaniṣadischen Glauben an eine von Existenz zu Existenz überwandernde ewige Seele (ātman) - belegt in BaU 3,9.26; 4,4,22; 4,5,14-15; ChU 6,12,1-3 - übernahm der Buddha in antithetischer Umkehrung, nämlich verwandelt in seine eigene Anatta-Lehre, die Lehre von der Nichtexistenz eines ewigen Ātman.

Wegen der Übernahme der Punkte 1 bis 3 in seinen eigenen Dhamma wurde der Buddha von der Hindu-Orthodoxie später als Dieb (stena) tituliert; die Ablehnung des Punktes 4, des hinduistischen Ātman-Glaubens, trug ihm das Schmähwort Häretiker (pāṣaṇḍa) ein.

 

IV.

Warum beschreibt der Pāli-Kanon (in M 26,16) den Upaniṣadenlehrer Uddaka Rāmaputta als einen Meditationsmeister? - Die Antwort liegt auf der Hand. Die Upaniṣaden waren damals eine Geheimlehre, und was der Buddha als Eingeweihter seinen Mönchen über Uddaka erzählte, blieb ihnen unverständlich. Sie wussten aber, dass Siddhattha den Āḷāra Kālāma einst enttäuscht verlassen hatte, um sich dem Uddaka Rāmaputta anzuschließen (M 26,15-16): Also musste er sich bei Uddaka profundere Erkenntnisse erhofft haben als Āḷāra sie bot. Sie schrieben deshalb die achte Meditationsstufe des Āḷāra dem Uddaka zu und machten diesen - vielleicht unwillentlich - zu einem Meditationsmeister.

 

V.

Fördert es das Verständnis der Lehre, den Buddha als ehemaligen Schüler eines Upaniṣadenlehrers zu erkennen? - Die Frage ist zu bejahen: Zum einen weil es die Herkunft der wichtigsten Lehrelemente des Frühbuddhismus klarstellt, zum anderen weil es zeigt, dass die Nichtseelen-Lehre des Buddha als die Gegenthese zum upaniṣadischen Ātman-Glauben zu verstehen ist. Die hinduistische "Narrenlehre" (bāladhamma: M 22,25) einer den Tod überdauernden Seele (die im Pāli attan heißt), wird durch die Verneinungsvorsilbe an- zu dem Pāli-Wort an-atta, "Nichtseele". Populärbuddhistische Bücher übersetzen dieses Wort häufig als "non-ego" oder "not-self" und wecken damit den Eindruck, als habe der Buddha die Existenz eines empirischen Ich oder Selbst bestritten.

Aber nicht das empirische Ich hat der Buddha abgelehnt, sondern den Irrtum, das gefühlte Ich sei eine Entität, etwas Reales und Dauerhaftes. In Wahrheit sind es unser Denkorgan (mana) und unser Denken (citta), die unsere Regungen und Erfahrung bündeln und als Ich etikettieren, denn die psychophysische Einheit, die jeder Einzelne für eine begrenzte Zeit darstellt, bedarf einer Bezeichnung. Nicht gegen dieses empirische, nur nominal existente Ich oder Selbst, das bei unserem Tod gegenstandslos wird und verfällt, wendet sich der Buddha, sondern gegen den upaniṣadisch-hinduistischen Glauben, wir besäßen einen über unseren Tod fortdauernden Ātman.



 

 

Abkürzungen:
BaU = Bṛhadāraṇyaka-Upaniṣad
ChU = Chāndogya-Upaniṣad
D = Dīgha-Nikāya
M = Majjhima-Nikāya
P. = Pāli
Skt. = Sanskrit

 

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