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Wein-Nacht
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Ein Vortrag von Santuṭṭho 17. Dezember 2011 |
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"Warum so negativ?" Werden einige erwidern. "Letztens war der Typ noch ganz lustig, und wir hatten auch etwas zum Lachen." Tja - damit scheint es vorbei zu sein. Es gibt wahrscheinlich nichts mehr zum Lachen. Aber wenn ich so in die Runde schaue, da steigt etwas in mir auf. Freude. Über die Freude, sogar über die ganz banale, habe ich anderen Ortes bereits referiert. Ganz allgemein ist ja Freude nichts schlechtes. Und wer schön oberflächlich herum stöbert und sich auch um nichts Gedanken macht, der hat sicherlich eine Menge Freude. Was hat Freude aber mit Lachen zu tun? Vielleicht nicht viel, das gebe ich zu. Sarkasmus keimt. Sprüche wie "Da kann man nur drüber lachen.", "Das ist doch lächerlich." hört man täglich. Seltsam, dass aber niemand dabei lacht. Sehr seltsam. Wenn es nicht zum Heulen wäre, könnte man drüber lachen. Den Wert des Lachens hat man mittlerweile sogar wissenschaftlich festgestellt. Sehr gut! Da fragen wir doch gleich mal nach: "Wann habt ihr das letzte Mal gelacht?" Wir beschäftigen uns mit etwas, das als "freudig" im Geist gespeichert ist. Ein Grund zur Freude also. Weltliche Freude. Aber egal, Hauptsache angenehm. Und genau so läuft es ab: Was wir als angenehm im Geist gespeichert haben, das wünschen wir uns. Am besten "für immer und ewig". Nun streifen wir ein wenig in religiösem Schrifttum herum und werden feststellen, dass der Begriff des Ewigen gern genutzt wird, um die Wichtigkeit einer Sache zu betonen. Hier schneiden sich die Buddhisten selbst ins Fleisch, denn sie lehnen es ab, irgend etwas als "ewig" zu betrachten, zu akzeptieren, da ja alles der Gesetzmäßigkeit der Veränderung unterliegt. Im Umkehrschluss wird also auch Freude zu etwas Leidhaftem, da sie ja vergänglich ist. Demnach ist es besser, sich gar nicht erst zu freuen, dann tut es auch nicht weh, wenn die Freude aufgehört hat. Merkwürdig, dass diese Denkweise vor Weihnachten verschwindet. Derart tief ist in unserer Kultur dieses Ereignis eingebaut und bewertet. Es wird sich gefreut beim Shoppen "Guck mal, was ich ergattert habe!" Als gäbe es nichts anderes. Es wird ein riesen Trara gemacht. Monatelang. Ein Wahnsinn. Da kann einem das Lachen vergehen. Aber auch das Freuen. Ob Buddhisten sich Weihnachten antun oder nicht, spielt keine Rolle. Es steht nirgendwo geschrieben, dass man Weihnachten zu meiden habe. Demzufolge sollte es auch niemanden stören, wenn Buddhisten auf das Trittbrett "Weihnachten" aufspringen und ihre eigene Show abziehen. Sollte man meinen. Etwas pikiert sind nur die "Ultraerzkonservativen", also die, die anderen nicht den Spaß gönnen. Wahrscheinlich, weil sie selber keinen haben. Solche verbiesterten Menschen gibt es zuhauf. Und es werden immer mehr. Das ist nicht zum Lachen. Und so wird aus der Weih-Nacht eine Wein-Nacht. Zum Heulen. Wie krank unsere Gesellschaft ist, dürfte hinlänglich bekannt sein. Schon wieder kein Grund zur Freude, geschweige denn zum Lachen. Langsam wird es hier zum Dilemma. Egal von welcher Seite ich ankomme, dauernd wird es freudlos. Was ist hier los? Der Vortragende wäre ein Übler, würde er nicht die Erwartungen erfüllen, und den Knoten auflösen. Obwohl - wenn ich's recht bedenke, da sind doch Erwartungen nur dazu da, enttäuscht zu werden. Also kommt hier die Enttäuschung. Die Ent-Täuschung. Dann klappt es auch wieder mit der Freude - und dem Lachen. Wir sollten Ent-Täuschung aber wortwörtlich nehmen. Das bedeutet, dass wir uns einer Täuschung entledigen. Und das ist doch etwas Gutes. Vielleicht unangenehm, aber letztendlich ist es gut. Und etwas, was gut ist, darüber kann man sich doch freuen. Problematisch beim Ent-Täuschen ist der Grad des Anhaftens an der Täuschung, sprich der Erwartung. Je mehr man ein bestimmtes Ergebnis erwartet, um so heftiger dürfte das Leid-Gefühl beim Ent-Täuschen, das Enttäuschtsein sich bemerkbar machen. Demnach ist es prinzipiell falsch, an etwas anzuhaften, also auch Erwartungen zu hegen. "Erwarte nichts." - so lautet die Devise. Zurück zur Wein-Nacht, oh Entschuldigung: Weihnacht. Blättern wir
ein paar Kalenderjahre zurück. Was war da los, Herrgottnochmal?
Es geht eigentlich darum, auszudrücken, dass da jemand "erschien", der etwas besonderes wurde. Und hier hakt auch die Freude ein. Die Freude darüber, dass da (endlich) mal jemand erscheint, der die Klappe aufmacht und sagt, was los ist. In wie weit das dann verfälscht wurde, lassen wir erst mal dahin gestellt. Deshalb kann man sich als Buddhist auch freuen, wenn es um den Christus geht. Absolut kein Problem. Wenn es aber um das geht, was daraus gemacht wurde, dann gibt es kaum Grund zur Freude. Aber das ist hier nicht das Thema. Oder doch? Im vorigen Jahr wurden die Geburtsgeschichten des Christentums und des Buddhismus verglichen. Unterm Strich kam heraus, dass in beiden Religionen das Wiederinsdaseintreten nicht das Ausschlaggebende sei, sondern das, was aus dem Wesen wurde, was dann in dessem Leben tatsächlich passierte. Was kann schon ein neu geborenes Wesen so besonderes sein? Wie empfindlich, wie verletzlich ist ein gerade geborenes Wesen. Nein, nicht die Geburt eines Wesens ist das entscheidende, entscheidend ist, was dieses Wesen bewirkt! Und bei bzw. mit seiner Geburt ist wahrscheinlich noch nicht allzu viel bemerkenswertes bewirkt, außer eben dass dieses Wesen als Mensch geboren wurde. Alle Religionsstifter sind geboren. Dass alle Religionsstifter sterbliche Menschen waren, wurde und wird immer wieder versucht zu mystifizieren. Die Geburt des Jesus ist also nur insofern ein freudiges Ereignis, wenn man es rückblickend betrachtet. Und genauso war es auch beim historischen Buddha. Zu dessen Lebzeiten hat es wahrscheinlich auch kaum jemanden interessiert. Bemerkenswert allerdings die Tatsache, dass bei der Geburt des Siddhārtha nichts von großartigen Gaben erzählt wird, die dargebracht werden, beim Jesus hingegen schon. Denn darauf basiert die ganze Schenkerei zu Weihnachten. Das ist die Ursache für die Massen von Kaufrausch-Zombies, die durch die Shopping-Malls streifen, immer auf der Suche nach dem ultimativen "Geschenk". Ja, "Weihnachten wird unterm Baum entschieden", wie es treffend per Werbebotschaft verkündet wird. Da leuchten die Gesichter auf, wenn's an's Auspacken geht. In ein paar Minuten ist alles vorbei, und alles, was man in stunden-, tage-, wochen-, monatelanger Suche zusammengeschleppt und -gerafft hat, liegt nun herum. Verpackungsmüll auch. Und zwar reichlich. Spurensuche. Wo fing es gleich nochmal an? ... (innen/außen) Kommen wir zur Auflösung. Lassen wir uns ent-täuschen. Was ist Täuschung? Das Gegenteil davon müsste dann Ent-Täuschung sein. Hier ist die deutsche Sprache mal wieder unlogisch, denn beide Begriffe werden als Negative gehandelt. Unter den Täuschungen ist die Selbsttäuschung die häufigste aller Täuschungen. Man macht sich 'was vor. "Ich habe mich getäuscht." Genau gesehen ist das völlig richtig ausgedrückt, da ja niemand anderes getäuscht hat, auch nicht der Eindruck, sondern aufgrund unserer Wahrnehmungsprozesse, kam es zur Fehlinterpretation. Bezüglich der Wahrnehmung wurde bereits an anderem Ort vorgetragen. Wir haben uns an den Prozess Wahrnehmung-Täuschung so ziemlich gewöhnt. Leider. Ent-täuschung fängt also bei einem selber an. Akzeptanz ist angesagt. "Alles darf so sein wie es ist." Kein Beschönigen, kein Vertuschen, kein Schminken mehr. Wie aber reagiert das Außen auf unsere Arbeit des Ent-Täuschens? Fantastisch! Statt Freude bzw. Mitfreude werden wir etwas anderes ernten, nämlich Abwendung und Übellaunigkeit. Im besten Fall ein müdes Kopfschütteln. Um den anderen aber nicht den Tag zu verderben, fallen wir in unser gewohntes Handeln zurück. Wir versuchen so zu sein, wie die anderen uns haben möchten. Bloß nicht anecken! Ein Teufelskreis. Und schwer ist es, da heraus zu kommen. Wenig Freude ... Schauen wir mal
zur buddhistischen "Weih-Nacht", der Nacht in der Siddhārtha
Gotama ent-täuscht wurde (besser gesagt: sich ent-täuschte):
Äußerst bemerkenswert auch die sich jeweils wiederholenden Worte: "Unwissenheit war vertrieben und wahres Wissen erschien; Dunkelheit war vertrieben und Licht erschien, wie es einem geschieht, der umsichtig, eifrig und entschlossen lebt" Es liegt nahe, hier die Ursache zu suchen, woher der Begriff "Erleuchtung" stammt. Wichtig aber auch, dass nicht da steht, "Ich habe gefunden" oder ähnliches, sondern unpersönliche Aussagen bis hin zum Hinweis "wie es einem geschieht, der umsichtig, eifrig und entschlossen lebt". Das bedeutet nichts anderes, als dass auch andere Menschen, eben jene, die sich entsprechend bemühen, jene Erfahrung machen können! Das ist ganz wichtig! Der Buddha erhebt in keinster Weise einen Alleinanspruch auf was-auch-immer! Kein Wort davon, dass man ihm nachfolgen soll oder an ihn glauben. Nein, ganz pragmatisch, eigentlich recht nüchtern die Aussage, dass es einem geschieht. Also kein Ort an den man hin gelangen könne, kein Zustand, den man erreicht, kein Ding, keine Wesensveränderung, nichts Mystisches, Verklärtes, Geheimnisvolles - einfach "nur" ein Geschehen. Lassen wir es bei dieser buddhistischen "Weihe-Nacht" nicht bewenden. Gehen wir weiter im Text. Gleich nach dem Erwachen zur Buddhaschaft, der so genannten Erleuchtung, gab es eine weitere äußerst bedeutungsvolle Nacht. Nicht soll hier der Anschein geweckt werden, dass der Buddha ein ausgesprochener Nachtmensch war, nein, aber er lehnte übermäßigen Schlaf genau so ab wie übermäßiges Essen. Im Dhammapada-Vers Nr. 157 empfiehlt er ein Drittel der Nacht wach und klar bewusst zu verbringen. Wir müssen also nicht nächtelang wach bleiben, um Fortschritte in unserer Praxis zu erlangen, wie es in einer gewissen Spielart der Tradition gepflegt wird. Der Buddha lehrte deutlich den Mittleren Weg. Meiner Meinung nach ist Verzicht auf Schlaf nicht gerade dem Mittleren Weg zuzurechnen. Kommen wir nun zu
dieser zweiten bedeutungsvollen Nacht: (Zitat Mahāvagga 1-3) Was fällt uns
im Unterschied zur Nacht der Erleuchtung auf? Hier ein wichtiger Hinweis an alle, die gerne auf Details achten: Diese drei Verse sind die tatsächlich ersten Worte, die nunmehrige Buddha aussprach. Bitte reflektiert bei Gelegenheit mal ein wenig darüber. Wenn wir uns nun vergleichsweise bei und/oder in anderen Religionen und Weltanschauungen umsehen, dann dürfte es schwer fallen, derart tief schürfende Erkenntnisse, die auch noch nachvollziehbar sind (!), zu finden. DAS ist es, was meiner Meinung nach tatsächlich eine Weihe-Nacht ausmacht. Nicht die salbungsvollen Sprüche und / oder anrührenden Gesänge, die man derzeit zu hören bekommt. Ein Fest der Freude? Die Melodien der meisten Weihnachtslieder lassen eher Weh- und Schwermut aufkommen. Die Selbstmordrate ist um Weihnachten herum seltsamerweise am höchsten. Aus Freude hat sich wohl kaum jemand das Leben genommen. Aber schauen wir nicht auf andere, betrachten wir zuerst mal uns selber. Damit ist schon viel gewonnen. Suchen wir Ursachen nicht länger außen, sondern in uns selber. Ent-täuschen wir uns. Versuchen wir zu verstehen, zu erkennen, was unser Dasein ist: nämlich bedingt entstanden, unzulänglich und ohne Substanz (wörtlich: ohne Seele). Hier nun haken die Pessimisten ein, die nicht verstanden haben, dass es einen Ausweg gibt. Einen nachvollziehbaren Weg. Eben jene Lehre, die uns überliefert ist. Der Buddha hat sich dieser Sache "geweiht", hat 45 Jahre lang eben jene entdeckte Gesetzmäßigkeit gelehrt. Viele Menschen, früher und eben auch heute noch, sind dieser Lehre gefolgt, folgen ihr, haben ihre Lebenszeit dieser Lehre geweiht. Dazu bedarf es keines öffentlichen Gelöbnisses, keiner Amtshandlung, keiner Kirche. Nein. Man kann hier und jetzt sich dazu entschließen, das, was uns der Buddha aufzeigte zu praktizieren. Hier und jetzt ist es eben möglich, bei rechter Gesinnung, rechtem Denken, rechter Rede, rechtem Handeln, rechtem Lebenserwerb, rechter Anstrengung, rechter Achtsamkeit und rechter Konzentration das zu realisieren, was der Buddha erreichte: endgültige Leidfreiheit. Endlich Schluss mit allem Unzulänglichem. Schauen wir noch
mal eben auf den Spruch "Stille Nacht - heilige Nacht" Die Lehre ist wohl
verkündet, die einleuchtend ist, zeitlos gültig, Praktizieren wir! Meditieren wir! Machen wir etwas
aus dieser Nacht! Machen wir diese Nacht heilig! Ent-täuschen
wir uns!
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