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Weltfriede und Buddhismus

 

Alle Hilfe liegt bis zu einem gewissen Grade im Denken. Denn das Schreckliche aller Dinge und Vorgänge liegt nicht in ihnen selber, sondern in unserer Auffassung über sie. Etwas das an sich schrecklich wäre, gibt es nicht. Folglich kann es auch nichts in der Welt geben, dem nicht durch Denken die Spitze abgebrochen werden könnte. Im Denken, nicht in den Dingen, liegt der Angelpunkt, von dem aus sich die Welt drehen lässt.

Wirkliches Denken ist immer ein Umdenken, wie Wachsen immer ein Unwachsen ist. Soll die Welt aus ihren Nöten heraus kommen, so muss sie begreifen, dass diese Nöte ihren letzten Grund in gedanklichen Verirrungen haben. Der Friede und die Zukunft der Menschheit sind eng mit dieser Einsicht verknüpft.

Je heller das Licht, um so dunkler der Schatten. Je grimmiger der Krieg, um so stärker die Friedenssehnsucht. Heute dreht sich alles Denken um den Frieden. Der eine fürchtet den Erschöpfungsfrieden, der andere erhofft den siegreichen Frieden, alle Denkenden wünschen den Verständigungsfrieden.

Friede ist nur ein Symptom. Jedes Symptom ist vieldeutig. Friede kann Ausdruck kriegerischster Gesinnung sein, wie die Stille des Taifunzentrums Ausdruck der wütendsten Sturmgewalt. Friede muss friedlich sein, soll er Wert haben. Erschöpfungsfriede ist kein friedlicher Friede, so wenig, wie Ohnmacht Ruhe ist. Siegreicher Friede ist kein friedlicher Friede, so wenig, wie man die Bogenschnur dadurch entspannt, dass man den Bogenrücken gewaltsam zusammenpresst: Je stärker die Entspannung, um so stärker der Gegendruck. Soll Friede friedlich sein, so muss er auf wirklicher Verständigung beruhen.

Verständigungsfriede, immer wünschenswert, ist in unseren Zeiten notwendig geworden. Denn die Erde ist nicht mehr, wie in der Antike, ein Mosaik unabhängig neben einander bestehender Teile, sondern ein großer Organismus, bei dem jedes Glied in Abhängigkeit vom anderen steht. Streng genommen geschieht auf Erden nichts mehr, worin nicht alle interessiert wären. Wir essen alle aus einer Schüssel, und auch die Staaten mit ihrem Souveränitäts-Dogma müssen sich dieser Einsicht fügen lernen, wie Kaufmann und Wissenschaftler es längst getan haben. Der Begriff der Völkerfamilie, mit dem frühere Jahrhunderte spielten, wird durch die Weltgeschichte mehr und mehr zur Wirklichkeit umgesetzt.

In einer Familie ist Verständigung nicht kaufmännisches Geschäft, Handelsware, sondern freier Entschluss, sittliche Tat. Besteht die Erde nicht mehr aus Teilen, sondern aus Gliedern, so muss es einmal zu dieser sittlichen Tat kommen. Die Frage ist: Wird sie möglich sein?

Wirkliche Verständigung erfordert beiderseits ein gewisses Maß von Selbstlosigkeit. Erste Pflicht jedes Staates ist die Pflicht, sich selbst zu erhalten, sich geltend zu machen um jeden Preis. Erste Pflicht des Individuum ist: dem Gewissen zu folgen. Das Individuum ist seinem Wesen nach moralisch. Das Wesen aller Moral liegt in der Selbstlosigkeit, wenn nötig, auf Kosten der eigenen Daseinsbedingungen. Der Staat ist seinem Wesen nach amoralisch. Moral verlangt organische Geschlossenheit, Unteilbarkeit, In-Dividualität. Der Staat ist Teilbarkeit, Dividuum. Er errötet nicht und erblasst nicht; er empfindet weder Scham noch Reue - nicht weil er unmoralisch wäre, sondern weil er amoralisch ist. So wenig wie der Staat unmoralisch sein kann, will er überhaupt bestehen, so wenig kann er moralisch sein, will er bestehen. Für ihn ist notwendigerweise alles gut, was der Selbsterhaltung dient; alles schlecht, was diese Selbsterhaltung gefährdet. Das schließt bei ihm Selbstlosigkeit, damit individuelle Moral und damit Verständigung als sittliche Tat aus, solange er in seinem Wesen unverändert bleibt. Staatsmoral und individuelle Moral widersprechen einander. Das ist der große Zwiespalt unserer Zeit und der Ausgleich zwischen staatlicher und individueller Moral ist das große Problem unserer Zukunft, an dessen Lösung die Versittlichung des Staates und damit auch der Weltfrieden hängt.

Theoretisch genommen begünstigt die Amoralität des Staates ebenso sehr den Frieden wie den Krieg auf Erden, beides dadurch, dass sie keine Gefühlspolitik erlaubt, welche letztere ebenso sehr im Sinne des Friedens wie des Krieges ausschlagen könnte. Aber derartige innere Gleichgewichte, wie die Theorie sie schafft, gibt es in der Wirklichkeit nicht. Die Wirklichkeit liebt keine schwebenden Waagebalken. Tatsachen sind auch Entscheidungen, und die Entscheidung, welche die Weltgeschichte in dieser theoretischen Gleichheit gibt, ist die, dass die Amoralität des Staates erfahrungsgemäß weit mehr den Krieg als den Frieden begünstigt, weil nun einmal der Machttrieb zum Wesen eines jeden gesunden Staates gehört und seine Amoralität ihm das beste Werkzeug für diesen Machttrieb ist.

Für jeden Denkenden hängt unmittelbar der Ausgang des Krieges, mittelbar die Zukunft der Menschheit an einem wirklichen, d.h. auf wahrer Friedlichkeit beruhenden Verständigungsfrieden, und diese Überlegung wirft uns schon heute mitten im Krieg diesem Problem vom Ausgleich zwischen Staats- und individueller Moral in den offenen Rachen. Mag dieser Krieg selber seinen Abschluss finden wie er will - das Problem des Ausgleichs zwischen individueller und Staatsmoral ist seine kulturelle Unterströmung, die schon heute in tausend Formen zur Oberfläche hoch wallt: als Kampf gegen die geheime Diplomatie, als Kampf für Parlamentarismus, als Kampf für das Recht der völkischen Selbstbestimmung usw. Diese Unterströmung wird sich nicht wieder verdrängen lassen; sie wird an Kraft und Breite zunehmen und wird allmählich auch aus dem Stadium der ungeordneten Eruptionen in den gleichmäßigen Fluss klaren Selbstbewusstseins übergehen. Man wird einsehen lernen, dass alle die Makel reiner Humanität nicht als solche, einzeln gehoben werden können, sondern in ihrer Eigenschaft als bloße Symptome eines Grundfehlers erkannt werden müssen und nur mit Hebung dieses Grundfehlers gehoben werden können. Dieser Grundfehler ist eben der Zwiespalt zwischen individueller und Staatsmoral. In ihrem Ausgleich sieht der Denkende die Morgenröte einer besseren Menschheitszukunft. Und scheint der jetzige Kriegszustand auch der allerungeeignetste Zeitpunkt zu sein, um ein derartiges tiefgründiges Problem, das letzten Endes auf ein Umdenken hinaus laufen wird, anzuschneiden - denn Umdenken erfordert Stille und Ruhe - so kann doch eine solche Überlegung uns von dem Versuch nicht abhalten. Ein Weg entsteht dadurch, dass er begangen wird, immer wieder begangen wird, und Menschheitsideale nähern sich der Verwirklichung schon allein dadurch, dass man versucht, immer wieder versucht, sie zu verwirklichen.

Rein theoretisch wäre der Ausgleich zwischen den beiden Moralen auf zwei entgegen gesetzte Weisen denkbar: Entweder dadurch, dass das Individuum die Staatsmoral annimmt, amoralisiert, oder umgekehrt dadurch, dass der Staat die individuelle Moral annimmt, moralisiert.

Das erstere hieße den modernen Menschen auf das Stadium der Antike zurückschrauben. Der antike Mensch war Zoon politikon, staatliches Lebewesen im strengen Sinne. Er dachte und fühlte staatlich. Daher bei seiner Moral jener eigenartige Stich ins Amoralische, der uns als antike Größe oder als antike Grausamkeit imponiert. Mit dem Christentum und seiner Civitas dei trat der Zerfall, wie zwischen Staat und Individuum, so auch zwischen Staats- und individueller Moral ein. Dieser Zwiespalt verstärkte sich mit der Neuen Zeit und ihren geografischen und wirtschaftlichen Entdeckungen. Die antike staatliche Gemeinschaft, die alles umgriff, wuchs sich zur Menschlichen Gesellschaft, zur Lehre von der Gleichberechtigung aller Menschen, zum Weltgewissen aus. Wachstum ist einsinnig wie die Flamme; kann nie wieder auf einen früheren Zustand zurück geschraubt werden. Der moderne Mensch hat im Laufe selbsttätiger Entwicklung moralisch denken und fühlen gelernt. Ihn auf die Amoralität der Antike zurück zu schrauben, ist so unmöglich, wie es unmöglich ist, das Neugeborene in den Mutterleib zurück zu versetzen, nachdem es denselben einmal verlassen hat.

Der zweite Weg, auf dem man sich den Ausgleich zwischen individueller und Staatsmoral vorstellen könnte, wäre der, dass der Staat die individuelle Moral annimmt. Diese Idee wird heute zu verwirklichen gesucht in der Theorie des modernen Rechtsstaates aufgrund internationaler Gerichtsbarkeit. Dieser Rechtsstaat ist das Schlagwort unserer Zeit geworden und schwebt über dem Wüten des Krieges wie der Regenbogen über dem Wüten der Elemente. Der Traum ist schön, aber auch hier gilt: Was denkbar ist, braucht darum noch nicht möglich zu sein. Der Staat in jeder Form hat den Machttrieb nicht als Eigenschaft, sondern ist Machttrieb selber seinem innersten Wesen nach. Ihm den Machttrieb nehmen, hieße der Flamme die Brennkraft nehmen und doch erwarten, dass sie weiter brennt. Ein Staat, der moralisierte und altruisierte gleich dem Individuum, wäre kein lebendiger Staat mehr, und täte er es, so wäre es Heuchelei seinerseits und nichts als das Sprungbrett versteckter Machtgelüste. Denn erfahrungsgemäß stehen sich nicht alle gleich gut beim Rechtsstandpunkt und Recht ohne Wohlwollen geübt kann schlimmer wirken als Unrecht. Für den einen Staat kann Annahme des Rechtsprinzipes und internationaler Gerichtsbarkeit Mittel zur unbestrittenen Weltherrschaft werden. Denn vor diesem Forum wird dem, der die Macht hat, in strittigen Fällen auch das Recht zugesprochen werden. Und spricht man es ihm nicht zu, nun, so wird er es sich eben selber zusprechen. In dieser angenehmen Lage wären England und Amerika. Für einen anderen Staat kann Annahme des Rechtsprinzipes Mittel zur Unterdrückung werden. Gleich dem jungen Isaak müsste er das Holz zum Opfer mit herbei schleppen, um nachher selbst auf dem Altar des Völkerfriedens geopfert zu werden. In dieser unangenehmen Lage wäre Deutschland bzw. die Mittelmächte. Bekenntnis zum Rechtsstaat und internationaler Gerichtsbarkeit wäre für sie Entselbständigung, weil Recht ihnen gegenüber ohne Wohlwollen gehandhabt werden würde.

Eine dritte Möglichkeit zum Ausgleich zwischen individueller und Staatsmoral und damit zur Versittlichung des Staates muss geschaffen oder entdeckt werden, soll unser Problem je eine Lösung finden. Diese Lösung bahnt sich zur Zeit selber an im Übernationalen Wirtschaftsstaat, wie er zwischen Deutschland und Österreich und weiter zwischen den Mittelmächten und dem Südosten im Entstehen begriffen ist, und wie er entstehen muss, wenn sich diese Gebiete für die Zukunft wirtschaftliche und damit politische Selbständigkeit sichern wollen. Die europäische Welt neigt seit etwa zwei Jahrhunderten zur Zweiteilung in die beiden Großmächte England und Russland. Soll eine dritte Großmacht in der Mitte nicht nur von der Schaukelpolitik leben, wie Deutschland es bisher hat tun müssen, sondern soll sie Halt in sich selber haben, so muss sie im Notfall sich selber wirtschaftlich genügen können, Autarkie besitzen. Das ist nur möglich im Zusammenschluss zu einem großen übernationalen Wirtschaftsstaat. Er ist unserer Überzeugung nach der Staat der Zukunft, an den sich die Hoffnungen der Menschheit knüpfen oder knüpfen sollten, und die Mittelmächte, in erster Linie Deutschland, sind sein Evangelist. Kein noch so glänzender Sieg, kein noch so günstiger Frieden, kein noch so kluger Neuanschluss nach dem Krieg entweder nach Osten oder nach Westen hin wird die Mittelmächte dieser Evangelisten-Rolle überheben. Die Weltgeschichte hat sie, als die Träger weltgeschichtlicher Tragik, auf den Großmachtweg gestoßen. Auf diesem Weg werden sie weiter wandern müssen, rücksichtslos dagegen, ob er ihnen behagt oder nicht, ob er ihren materiellen Interessen dient oder nicht. Sie werden nicht ruhen dürfen, bis ihr neues Ziel erreicht ist und dieses Ziel ist ein übernationaler Zusammenschluss, groß genug, um die Möglichkeit wirtschaftlicher Selbstsättigung zu bieten - ein neues Weltreich als Wirtschaftsstaat. Das antike Weltreich war Machtstaat, das mittelalterliche Weltreich war Glaubensstaat. Der Zerfall in den Nationalstaat hat auch das Weltreich zerfallen lassen. Jetzt steht die Weltgeschichte vor der Aufgabe, ein Weltreich in neuer Form zu gebären und diese neue Form dürfte, entsprechend den Tendenzen des modernen Menschen, nur der Wirtschaftsstaat sein.

Für uns hat dieser Wirtschaftsstaat weniger als Weltreich, wie als Kulturfaktor Bedeutung. Der übernationale Wirtschaftsstaat hat drei große kulturelle Vorzüge: Erstens er würde einen Verständigungsfrieden weder zum kaufmännischen Geschäft, noch zur freien sittlichen Tat machen (ersteres ungenügend, letzteres vorläufig unmöglich), sondern zu einem Ergebnis weltgeschichtlichen Wachstums, d.h. zu einer natürlichen Notwendigkeit. Ein übernationaler Wirtschaftsstaat, bestehend aus den Mittelmächten und dem Südosten, der, wenn auch nicht in allem, so doch in den wesentlichen Punkten wirtschaftlich sich selber befriedigte, Autarkie besäße, wäre kein Angriffsobjekt mehr für England. Letzteres setzt seine Rammversuche in Flandern nur deswegen immer weiter fort, weil es immer noch nicht an die Möglichkeit einer wirtschaftlichen Verselbständigung Deutschlands glaubt. Man beweise ihm, dass die Mittelmächte, ja der ganze Vierbund ein einziges Wirtschaftsgebiet sind oder doch entschlossen sind es zu werden, und man wird im Lande der Weltklugheit und der nüchternen Berechnungen schließlich einsehen, dass hier etwas Neues in der Bildung begriffen ist, das sich wirtschaftlich im Notfall in und durch sich selber erhalten kann und das folglich das ganze Kalkül, mit dem man seinerzeit in den Krieg eingetreten ist, umstoßen muss. Mit der Tatsache eines derartigen übernationalen Wirtschaftsstaates würde Verständigung weder ein Handelsgeschäft, noch eine sittliche Tat, sondern einfach natürliche Notwendigkeit werden, welcher sich der Verständige fügt. Die Welt hätte keinen künstlich gemachten, sondern einen natürlich gewachsenen, gewordenen Frieden - ohne Vergewaltigungen, ohne Demütigungen - ein "Deutscher Frieden" im edelsten Sinne.

Der übernationale Wirtschaftsstaat würde, das ist sein erster Vorzug, Frieden-beschleunigend, ja Frieden-schaffend wirken.

Zweitens: Er würde Frieden-erhaltend wirken. Denn ein selbst nur nahezu autarkisches Staatsgebilde ist weder geeignetes Subjekt noch Objekt eines Krieges. Subjekt nicht, weil er weniger hungrig ist wie der enge Nationalstaat mit seinem weltweiten, ungesättigten wirtschaftlichen Affinitäten. Objekt eines Angriffes deshalb nicht, weil er gar nicht oder doch sehr schwer ausgehungert werden kann. Überschreiten aber Kriege gewisse Grenzen, so können sie nicht mehr militärisch, sondern nur wirtschaftlich entschieden werden.

Drittens und letztens: Er würde natürlich-ausgleichend zwischen individueller und Staatsmoral wirken, ohne Amoralisierung des Individuums oder Moralisierung des Staates zu verlangen. Der Ausgleich würde darin bestehen, dass im übernationalen Wirtschaftsstaat der Machtstaat diejenige Form annehmen würde, in der er der Moral des Individuums am wenigsten gefährlich wäre.

Auf dieser seiner Eigenschaft beruht das Interesse, das wir, von unserem Standpunkt aus, ihm entgegenbringen.

Die Gefährdung des Individuums und seiner Moral durch den Staat und seine Amoralität beruht auf der erhabenen Stellung, die der Staat dem Individuum gegenüber einnimmt. Er droht das Individuum äußerlich und innerlich zu absorbieren, wie eine übermächtige Sonne ihre Trabanten, und die Entwicklung einer gedanklich und moralisch freien Persönlichkeit zu behindern, wenn nicht gar zu unterdrücken. Diese Gefahr ist im Nationalstaat besonders groß, weil er wegen räumlicher Beschränktheit und wirtschaftlicher Ausdehnungsbedürftigkeit beständig höchste staatliche Energie entfalten muss, will er sich selber erhalten. Ob er dabei theoretisch Nutzstaat ist wie England, oder Idealstaat wie in Deutschland, macht in diesem Falle der Not keinen Unterschied. Beweis ist England im Weltkrieg und seine neue Wehrpflicht.

Auch der internationale Rechtsstaat würde aus seiner Erhabenheit und aus seinen Ansprüchen gegenüber dem Individuum nicht heraus rücken, weil sein Dasein nicht auf natürlichen Notwendigkeiten, sondern auf Idealismen aufgebaut wäre. Erste aller Notwendigkeiten ist die Ernährung. Auch der Staat muss sich fügen, und er wird um so fester gefügt sein, je mehr er sich auf dieser Notwendigkeit aufbaut. Das ist der Fall beim übernationalen Wirtschaftsstaat. Bei ihm muss die Nationalidee, stets eines der hauptsächlichsten Kriegsfermente, sich wirtschaftlichen Rücksichten fügen, will er nicht gegen sich selber wüten und sich selber lebensunfähig machen. Im übernationalen Wirtschaftsstaat wird er Staat, der in seiner bisherigen Form als Nationalstaat auch gleichzeitig Idealstaat ist, entidealisiert, ohne ihm den neuen Idealismus des internationalen Rechtsstaates einzuimpfen, der mit der Gefahr aller Idealismen behaftet ist: vom Materialismus missbraucht zu werden. Der internationale Rechtsstaat will die Macht zertrümmern und das Recht an ihre Stelle setzen und zwar aufgrund von Verträgen, d.h. als Ergebnis einer sittlichen Tat, die bei ihm als Dividuum unmöglich sein wird. Der übernationale Wirtschaftsstaat hingegen bleibt Machtstaat, aber bei ihm wird in notwendiger innerer Bändigung Macht zur Form des Rechts selber. Er gleicht dem gebändigten Feuer, das nicht mehr blind zerstört, sondern richtig "gefasst", der menschlichen Gesellschaft und ihren Zwecken dient. Der Rechtsstaat in dieser Form tritt nicht auf mit dem hohen Anspruch eines neuen Gebildes, eines Positivums, sondern nur als eine Art Privativum des Machtstaates. Der Machtstaat wird hier zum Rechtsstaat, entwickelt sich, wächst sich zu ihm aus.

Aber ist diese Hoffnung nicht auch zur Rolle einer Utopie verdammt, gleich dem internationalen Rechtsstaat der modernen Pazifisten? Wir glauben nicht, vorausgesetzt, dass das Individuum die mit einem solchen entidealisierten Staatsgebilde gegebenen Möglichkeiten zur Entwicklung einer freien Persönlichkeit richtig ausnutzt. Ein solches entidealisiertes Staatsgebilde wie der übernationale Wirtschaftsstaat es ist, hat aus inneren Notwendigkeiten, aus seinem inneren Lebensbedingungen heraus die Neigung oder besser ein natürliches Gefälle zum Rechtsstaat hin. Dadurch wird der Druck, den die Amoralität des Staates auf die Moral des Individuums ausüben muss, sich automatisch lockern, und es wird Sache des Individuums sein, diese Lockerung auszunutzen und seine eigene Moralität der Amoralität des Staates gegenüber selber zur Geltung zu bringen. Das wird nicht dadurch möglich sein, dass man versucht, den Staat zu moralisieren, mit individueller Moral zu infizieren, wie es im internationalen Rechtsstaat der Fall sein müsste, sondern dadurch, dass sich das moralische Eigengewicht des Individuumsgenügend hebt, um der übermächtigen Anziehungskraft des Staates ein Gegengewicht bieten zu können. Das bisher herrschende Trabantenverhältnis zwischen Staat und Individuum würde einem Gegenseitigkeitsverhältnis Platz machen, bei welchem sich beide als gleichwertige Massen gegenseitig stützen und halten, einander freundschaftlich umkreisen und eben in diesem Kreisen die lebengebende Geschlossenheit des Systems gewährleisten. Hier wird nicht die Unmöglichkeit eines moralisierten oder moralisierenden Staates angestrebt, sondern das moralisch frei in sich selber ruhende Individuum gibt der an sich unvermeidlichen Amoralität des Staates im Einzelfall immer wieder jene Direktive, die ihr die bedrohende Spitze abbricht und sie in die Kreise der Menschlichkeit einbiegen lässt. Anders ausgedrückt: zwischen der Amoralität des Staates und der Moralität des Individuums findet hier kein starr begrifflicher, sondern ein sich immer wieder neu ergebender funktioneller Ausgleich statt. Um im obigen astronomischen Bild zu bleiben: Wie ein leuchtender Himmelskörper von einem dunklen, aber gleichgewichtigen umkreist und dadurch beständig funktionell, d.h. in seiner Bahn beeinflusst wird, ohne eine innere Änderung zu erfahren, so wird, so soll hier die feurige Sonne des amoralischen Staates von dem stillen, dunklen Gegengewicht des Individuums und seiner Moral beständig funktionell, d.h. in ihrer Bahn beeinflusst werden, ohne doch in ihrem Wesen, d.h. in ihrem Charakter als Machtstaat eine Änderung zu erfahren.

Aber wo liegen Mittel und Wege, diese Ziel dem Reich der Utopien zu entreißen und zur Verwirklichung zu bringen? Antwort: Sie liegen da, wo die Keime aller Wirklichkeit liegen: Im Individuum selber. Von diesem Gebiet reiner Wirklichkeit gilt die große Wahrheit, dass ein Ziel sich dadurch nähert, dass es erstrebt wird, eben so, wie ein Weg sich dadurch bildet, dass er begangen wird. Es ist das große Geheimnis der Wirklichkeit, dass bei ihr der Weg schon Form des Zieles ist und das Jetzt die immer neue Einheit von Vergangenheit und Zukunft.

Soll das Individuum dem Staat gegenüber gleichgewichtig werden, so muss es selber an innerem Eigengewicht zunehmen. Wiegen tun nur Wirklichkeitswerte. Verwirklichung des Individuums und seines inneren Lebens ist Vorbedingung eines würdigen Verhältnisses zwischen ihm und dem Staat. Das wieder ist Vorbedingung eines wirklichen Ausgleiches zwischen individueller und staatlicher Moral. Das wieder ist Vorbedingung wirklicher Friedlichkeit und damit eines wirklichen Friedens zwischen den Völkern.

Mit diesem Gedanken legen wir den Finger in die tiefste Wunde moderner Kultur: Ihren Mangel an Wirklichkeitssinn, der zu diesem Zerfall zwischen individueller und Staatsmoral geführt hat. Aus diesem Gedanken heraus winkt aber auch die Heilung.

Die Entwicklung der Neuzeit mit ihrer einseitig zivilisatorischen Richtung ist gleichbedeutend mit einer Entwicklung des inneren Lebens. Der moderne Mensch lebt wirklich nur in seinen physischen Bedürfnissen. Innerlich führt er ein entwirklichtes, ein Begriffsleben. Auch Denken ist Essen und verlangt wirkliche Nahrung, soll es nicht verkümmern. Begriffe aber brauchen nicht gegessen zu werden. Sie gehen wie ein verdeckter Korb von Hand zu Hand. Die Entwirklichung des modernen Menschen, sein hohles Begriffsleben, sei es auch in den höchsten Idealen, macht ihn zum leichten, zunderartigen Anziehungsgegenstand des Staates und seiner Machttriebe. Soll der Staat seine saugende Kraft aufgeben, so muss das Individuum ihm größere innere Schwere entgegen setzen. Auch der übernationale Wirtschaftsstaat überhebt das Individuum dieser Verpflichtung nicht. Er bietet nur günstige Möglichkeit. Ergriffen und ausgenutzt werden müssen sie vom Individuum selber, letzteres als einzige Größe der Welt, die aus sich selber heraus zu selbständiger Richtungsänderung fähig ist.

Soll mehr Beruhigung, Befriedigung, Friedlichkeit in der Welt einziehen, so muss der Wirklichkeitsgehalt des inneren Lebens erhöht werden, sonst werden die Völker Strohfeuer gegenüber ihren Idealen bleiben. Notwendigstes für den künftigen Weltfrieden sind nicht neue Formen, sondern neues Denken, Umdenken; nicht internationale Verträge, sondern Wirklichkeitssinn. Der verlangt Belehrung, Wirklichkeitslehre. Alles andere hat nur symptomatischen Wert. In einer Wirklichkeitslehre, die den Menschen aus den Extremen des Idealismus wie des Materialismus gleichmäßig wieder zur Wirklichkeit, zu ihrer nüchternen Einschätzung, zu ihrem besonnenen Genuss zurück führt, sehen wir das Heilmittel unserer Kulturellen Nöte und die Vorbedingung eines wirklichen Weltfriedens. Nur eine derartige Wirklichkeitslehre und ein aus ihr fließender Wirklichkeitsgehalt des Individuums kann das Verhältnis zwischen Staat und Individuum genügend günstig gestalten, um den Staat ohne gewaltsame Zerstörung seines eigenen Wesens, mit den Interessen der menschlichen Gesellschaft besser in Einklang zu bringen als es bisher der Fall war, wo er, in der Rolle des Kriegführenden, diese Interessen gröblich verletzt.

Damit treten wir entschlossen auf den Buddhismus zu, nicht auf jene exotische Kuriosität, wie er in der Literatur meist dasteht, auf den symptomatischen Buddhismus und sein eigenartiges Rankenwerk, sondern auf den Kern, auf jene nüchtern großartige Wirklichkeitslehre, die aus einem einzigen unerhörten Gedanken hervorkeimt und aufblüht. Unsere bisherigen Ausführungen sind nichts weiter als die Overtüre zu diesem gewaltigsten Menschheitsdrama. Denn alles Dramatische liegt letzten Grundes nicht in den Dingen, sondern im Denken, und höchstes Drama spielt sich da ab, nicht wo am meisten gehandelt, sondern am tiefsten gedacht wird. Und wie die großen Flieger unter den Vögeln eines erhöhten Standpunktes bedürfen, um abfliegen zu können, so könnte es sein, dass der Buddhagedanke das Piedestal des Weltkrieges bedarf, um seine Schwingen in ihrer Weltweite regen zu können.

Es ist das Laster unserer Zeit, dass wir in Begriffen leben, statt in Wirklichkeiten. Wir nennen diese Begriffe "Ideale", aber dass sie nicht wirklich sind, dafür ist der beste Beweis der, dass sie nicht wirken, dass sie uns vor dem immer stärker werdenden Materialismus nicht retten können. Lebendige Wirklichkeit hat sich zerspalten in einen kruden Idealismus, aus denen sich nun wie in einer Art künstlicher Synthese unser Leben reflektorisch aufbaut. Die Unmittelbarkeit des Lebens ist uns verloren gegangen. Wir leben auf dem Umweg über das Denken, und zwar über ein Denken, das sich sowohl als Weltanschauung wie als Moral wie als Religion, in unendliche Reihen verliert, die nirgends einen Abschluss erkennen lassen. Unsere Weltanschauungen, unsere Moralen, unsere Religionen kranken an Halbheit. Ihnen fehlt die gemeinsame Wurzel. Sie gleichen Blumen, die jede auf einem eigenen Gedankenfeld gepflückt sind, zu einem Strauß vereinigt, und nun immer wieder erneuert werden müssen, sobald sie welk geworden sind. Mensch und Wirklichkeit sind auseinander gewachsen. Dass sie sich wieder vereint haben, dafür wird der Beweis dieses sein, dass Weltanschauung, Moral und Religion wieder in ursprünglicher Unmittelbarkeit aus einem einzigen Gedankenkeim hervor brechen.

Der antike Mensch hatte diese Einheit noch nicht verloren. Er lebte sie im Staat. Er war Zoon politikon . Der moderne Mensch, wie er sich aus der Einheit mit dem Staat heraus gedacht hat, hat sich auch aus dieser Einheit des inneren Lebens hinaus gedacht. Er muss wieder in sie hinein schnellen, soll er je zur Ruhe kommen - innerlich und äußerlich. Das Toben der Weltgeschichte findet letzten Ursprung im menschlichen Gehirn. Der Menschengeist ist der wahre Demiurg der Weltgeschichte. Herrschen Ruhe und Ordnung nicht im Denken, so werden sie auch nicht in den Dingen herrschen, trotz aller Verordnungen und aller Beruhigungen.

Der hohe, ja unersetzliche Wert des Buddhismus (als der ursprünglichen, reinen Lehre des Gotama Buddha) liegt darin, dass er die drei Hauptstreben des inneren Lebens: Weltanschauung, Moral und Religion, wieder auf eine gemeinsame Wurzel zurück führt, nicht reflektorisch, sondern unmittelbar, kraft einer Intuition, einer wahrhaften, wirklichen Inschau.

Wirklichkeit ist nur da wirklich, wo sie unmittelbar zugänglich ist. Überall sonst ist sie nur Rückwirklichkeit (mir dem Beschauer gegenüber). Unmittelbar zugänglich ist Wirklichkeit nur im eigenen Inneren, im Denken. Damit, dass der junge Gotama, entschlossen sich von der Welt abkehrend, den großen Augenaufschlag nach innen tat, schuf er die einzig gültige Vorbedingung einer Wirklichkeitslehre, in welcher Weltanschauung, Moral und Religion zusammen fallen, anders ausgedrückt: eine Lehre, die den Betreffenden zwingt, seine Anschauung über die Welt, sein sittliches Verhalten, seine religiösen Hoffnungen nach dem zu richten, was er als Wirklichkeit entdeckt hat. Denn was nutzt mir die gewaltigste Weltanschauung, die erhabenste Moral, die gefühlvollste Religion, wenn mein Erkennen, meine Einsicht mich nicht zwingt, nach ihnen zu handeln. Unser Leben strotzt von kulturellen Werken. Sie kommen hernieder wie ein Platzregen. Aber der moderne Mensch gleicht dem Staubboden, der nichts davon aufnimmt und zu Nährwerten verarbeitet. So kommt es, dass wir reden wie die Engel und handeln wie die Wölfe.

Wirklich ist, was wirkt. Wo Wirken ist, da muss Kraft sein. Jede Wirklichkeitslehre muss Kraftlehre sein. Es gibt drei Arten von Kraftlehre: Erstens die der Wissenschaft, die "Kraft" zu einem bloßen Verhältniswert macht, der den Vorzug genauester Berechenbarkeit hat, aber nicht wirklich ist. Diese "Kraft" wirkt nicht, sondern ist nur Uhrzeiger einer unbekannten Wirklichkeit.

Die zweite Kraftlehre ist die des Glaubens. Sie macht, in der Gott-Idee, Kraft zu einem Absoluten, an sich Bestehenden. Diese Kraft ist überwirklich. Die Kraftlehre des Glaubens ist für den Deutschen ebenso unbrauchbar wie die Kraftlehre der Wissenschaft; beide sind gleich weit entfernt von der Wirklichkeit.

Die dritte Kraftlehre ist die, welche der Buddha gibt. Er erkannte intuitiv Kraft im eigenen Inneren, ja als das eigene Innere. Der Inhalt seiner Intuition ist kurz der: dass Denken Kraft selber ist und Wollen das sich selber verwirklichende Denken, beide von einander verschieden, etwa wie beim Physiker potentielle und lebendige Energie.

Kraft wird hiermit zu einer Energie, zu einer In-Kraft im strengsten Sinne, zu einem streng individuellen Wert, den der Buddha, das ganze innere Leben umfassen Kamma (in Sanskrit: Karma) nennt; was durchaus nichts bedeutet als das Innere, individuelle Wirken, wie es sich dem Inschauer unmittelbar darstellt. Kraft, für die Wissenschaft Ergebnis der Reflexion, für den Glauben Glaubenssache, wird im Buddhismus: Erlebnis.

Kraft kann nicht geschaffen sein, als solches wäre sie bloße Rückwirkung einer Kraft. Sie kann aber auch nicht ungeschaffen sein, als solches wäre sie bloße Glaubenssache. Kraft, soll sie wirklich sein, kann diese ihre Wirklichkeit nur durch sich selber dadurch beweisen, dass sie sich aus sich selber heraus, aus ihren eigenen Vorbedingungen immer wieder selber schafft. Als solche kann der Denkende, der stets In-Schauer ist, sie in sich selber in den immer wieder neu aufspringenden Willensregungen erleben, welche letztere nun nicht mehr Ausdruck oder Rückwirkung unergründlicher Kräfte bleiben, sondern Kraft, sich selber erlebende Kraft werden. "Kraft" in der Wissenschaft ist ein von den Umständen abhängiges, Bedingtes. "Kraft" im Glauben ist ein Absolutes, Unabhängiges an sich, Unbedingtes. "Kraft" im Buddhismus ist ein von sich selber Abhängiges, sich selber Bedingendes, gleich der Flamme, in jedem Augenblick ein Neues und doch nicht neu, jedes jetzige Daseinsmoment das gleiche und doch nicht das gleiche wie das vorhergehende - kurz: selbständiges Werden, selbständiges Wachstum, wie wirkliche Kraft es allein sein kann.

Wo Kraft sich selber dadurch begreift, dass sie sich selber erlebt als aus ihren eigenen Vorbedingungen immer wieder neu aufspringend; wo Kraft sich selber begreift als ein streng Individuelles, sich selber Gehöriges, da setzt notwendig ein Umdenken und damit eine Umwertung aller Werte ein, in welcher die Keime einer neuen Weltanschauung, einer neuen Moral, einer neuen Religion enthalten sind.

Erstens wird mit solcher Einsicht die Vorstellung von Allkräften im religiösen Sinne, von Zentralkräften im naturwissenschaftlichen Sinne hinfällig. Kräfte anzunehmen, von denen ich, als Einzelwesen, nur ein Teil und Abglanz bin, wäre jetzt widersinnig. Allkraft, Zentralkraft, Kraft an sich kann es hiernach nicht mehr geben. Das Individuum ist selber Kraft und wird dadurch zu einer individuellen Welt für sich, die von der umgebenden Welt nur in so weit in Abhängigkeit steht, wie die Flamme in Abhängigkeit von ihrer Umgebung steht: durch die Nahrung. In buddhistischer Anschauung ist das Lebewesen mit allen seinen körperlichen und geistigen Funktionen, d.h. nicht nur Essen und Atmen, sondern Empfinden, Wahrnehmen, Denken, kurz: die ganze Geist-Körperlichkeit (nāma-rūpa), ein Ernährungsprozess; als solcher ein selbständig aus sich selber heraus und sich dabei doch in Abhängigkeit von der Außenwelt unterhaltender Vorgang. In dieser neuen Weltanschauung leibt das Individuum nicht mehr Teil eines höheren und ihm unzugänglichen, unbegreiflichen Ganzen, sondern es wird zum Typ der ganzen Welt; es wird Welt selber. Tatsächlich bedeutet in buddhistischer Ausdrucksweise "Loka" sowohl die Welt im ganzen, im vulgären Sinne, wie die individuelle Welt des Einzelnen, im tieferen Sinne des Denkers und Erkenners.

Mit diesem Umdenken des Verhältnisses zwischen Ich und Welt setzt der ganze Buddhismus ein. Der Bekenntnisakt der anderen Religionen wird hier durch den Erkenntnisakt einer neuen Lebenslehre ersetzt, die, wie jede wahre Lebenslehre, nur eine Wirklichkeitslehre sein kann.

Es ist klar, dass hiermit eine ungeheure Umwertung aller Lebenswerte einsetzen muss. Solange ich mich als Teilchen oder Glied von Allkräften betrachte, müssen Sinn und Bedeutung des Lebens von Allgemeinwerten aus bestimmt werden, mögen sie nun transzendenter oder nicht-transzendenter Natur sein. Sobald ich mich aber selber als Kraft, als Typ der Welt begreife, müssen umgekehrt Sinn und Bedeutung der Allgemeinwerte, mögen sie transzendenter oder nicht-transzendenter Natur sein, vom Leben, d.h. vom Individuum aus bestimmt werden. Der Schwerpunkt der Welt, der bisher in unerträglicher Weise zwischen Diesseits und Jenseits hin und her pendelte, wird mit einem Schlag in das Individuum zurückverlegt, weil dieses sich selber als Welt begreift. Der Blitzschlag des Genius zerreisst die tappende Dunkelheit, die Orientierung zwischen Ich und Welt ist da. Das Erkennen, durch anfangsloses Nicht-Wissen verhindert, schnellt in die Wirklichkeit ein, und aufatmend weiss der gequälte Geist: So ist es.

Das ist der erste mächtige Schritt zur Füllung des Individuums mit Eigenwerten, an Stelle der bisher gangbaren Allgemeinwerte.

Die buddhistische Kraftlehre, Lebenslehre, Wirklichkeitslehre oder wie man sie sonst nennen will, in dieser erkenntnis-theoretischen oder weltanschauerischen Form wird in buddhistischer Ausdrucksweise als Anatta-Lehre bezeichnet. Anatta heisst Nicht-selbst. Es bedeutet nicht, dass das Einzelwesen überhaupt ohne wirkliche, ursprüngliche Kraft ist, wie die Naturwissenschaft es will. Es bedeutet auch nicht, dass das Einzelwesen aufgrund einer Kraft an sich, einer (dem Gott korrelativen ) Seele da ist, wie der Glaube will, sondern es bedeutet, dass es aufgrund einer streng individuellen Inkraft da ist, die nicht feststehende Größe, Wert an sich, Seiendes an sich ist, sondern als immer wieder Neues, immer wieder aus ihren eigenen anfangslosen Vorbedingungen aufspringt - kein bedingter Wert (Naturwissenschaften), kein unbedingter Wert (Glauben und Seelenlehre), sondern ein sich selber bedingender Wert.

Damit treten wir aus der weltanschauerischen auf die moralische Umwertung aller Werte zu, die sich aus buddhistischer Kraftlehre ergibt.

Ist Kraft ein sich selbst Bedingendes, so muss sie es nicht nur im biologischen, sondern auch im moralischen Sinne sein. Liegen die Bedingungen meines Daseins nicht in Allkräften, sondern in mir selber, nun, so müssen folgerichtig auch die Bedingungen meiner Moralität in mir selber liegen. Aus dem Standpunkt der reinen Naturwissenschaften, welche den Menschen zu einer bloßen Rückwirkung (etwa seiner Eltern oder einer Urzelle) machen wollen, würde sich moralische Unverantwortlichkeit ergeben. Aus dem Standpunkt der Glaubenslehren, die den Menschen nur als Rückwirkung, als Ausfluss göttlicher Kraft ansehen, würde sich Gott-Verantwortlichkeit ergeben. Im Buddhismus, der den Menschen als sich selbst bedingend und damit als sich selbst wirkend begreift, ergibt sich Selbstverantwortlichkeit. An Stelle des moralischen Nihilismus und der Gottesfurcht, die Selbstfurcht.

Das ist der zweite mächtige Schritt zur Füllung des Individuums mit Eigenwerten an Stelle der Allgemeinwerte.

Buddhistische Kraftlehre in dieser moralischen Form wird in buddhistischer Ausdrucksweise als Kamma (Sanskrit: Karma) -Lehre, d.h. als Lehre vom individuellen Wirken bezeichnet.

Wir nahen uns der dritten und letzten Umwertung der Werte, die sich aus buddhistischer Kraftlehre ergibt: der religiösen.

Es ist einer der schwersten Denkfehler des Westens, dass er Religion und Gottesglaube als identisch ansieht. Damit verpuffen alle seine religiösen Befreiungsversuche in Modifikationen des Verhältnisses zwischen Mensch und Gott, und die Frage, ob Gottglaube mit dem Wesen der Religion überhaupt etwas zu tun hat, bleibt unberührt.

Religion, religiöse Anlage ist nichts als das Bedürfnis des Menschen, über dieses Einzelleben hinaus zu sehen, Leben als Ganzes auf ein Anderes zu projizieren. So begriffen, wird die Befriedigung des religiösen Bedürfnisses durch den Gottglauben und ein ewiges Leben in Gott zu nichts als einer Arbeitshypothese, deren Wert, wie der Wert jeder Arbeitshypothese, sich nach der Höhe des Erkennens richtet. Bei gewissem Stande des Erkennens wird das Bedürfnis, dieses Einzellebens auf ein anderes zu projizieren, nicht anders gestillt werden können, als durch den Glaubensakt eines Ewigen Lebens in Gott. Gegen dieses religiöse Ergebnis an sich anzukämpfen (durch Argumente, Spott, Lästerung) ist widersinnig, ebenso wie es widersinnig ist, ein Spiegelbild an sich verrücken zu wollen. Man kann nur dagegen ankämpfen, indem man den Stand des Erkennens hebt, sodass die Arbeitshypothese eines bloßen Glaubensaktes, die für jeden Denkenden sehr unbefriedigend ist, überflüssig wird. Die Naturwissenschaften haben nur scheinbar den Stand des Erkennens gehoben. In Wahrheit haben sie nichts getan als die morschen Fundamente weggerissen und dem erschrockenen Auge die Abgrundtiefen eröffnet. Wirklich heben tut den Stand des Erkennens nur der Buddhismus durch seine intuitive Lebenslehre, in welcher sich wie durch einen genialen Coup die Rätsel von Geburt und Sterben lösen.

Nach buddhistischer Kraftlehre ist das Individuum ein sich selber Bedingendes, sich selber Wirkendes. Als solches kann es (seinem Wesen nach, d.h. als Kraft) weder von den Eltern (naturwissenschaftliche Zeugungslehre) noch von Gott (religiöse Glaubenslehre) abstammen, sondern es muss notwendig von sich selber stammen. Damit ist eine streng individuelle Zeugungslinie gegeben, die sich in der Lehre von den Wiedergeburten darstellt, welche letztere eine Erweiterung der Kamma-Lehre ist und ihren Abschluss in der Nibbāna (Sanskrit: Nirvāṇa) -Lehre hat.

Kraft ist einsinnig; kann nicht neben sich selber bestehen (wie z.B. als Gott und Mensch, als Eltern und Kinder). Wie der Gedanke, ihr Prototyp, so ist sie reines Nacheinander. Nur in Form der Rückwirkungen zeigt Kraft ein Nebeneinander. Ist ein Lebewesen also da, so muss es notwendig sein eigenes Nacheinander sein, in seine Geburt hineingestorben sein, eben so, wie die Bewegung in Wärme hinein-stirbt. Wie Bewegung mit Wärme erkauft werden muss (als reines Nacheinander), so muss dieses Leben mit dem Sterben des vorigen erkauft werden. Nicht die Eltern, nicht der Gott - es ist mein eigenes Sterben, aus dem mein Leben stammt. Und die Eltern? Sie liefern im Akt der Sinnlichkeit nur den Stoff zum Kleide, das mit allen biologischen Möglichkeiten ausgestattete Lebensmaterial, auf dem nach dem Gesetz spezifischer Affinität die Ich-Kraft der zerfallenden Daseinsform neu fasst und es aufs neue zur Entwicklung, zur Aufwicklung, zum Aufblühen bringt.

Der Unterschied zwischen buddhistischer Wiedergeburtenlehre und pantheistischer Seelenwanderungslehre ergibt sich hiermit von selbst. Ihn hier des näheren auszuführen ist nicht der Platz. Für uns von Bedeutung ist nur die Tatsache, dass sich in buddhistischer Kraftlehre das Individuum als den biologischen und moralischen Erben einer anfangslosen Daseinskette begreift, die ebenso sehr einen absoluten Beginn (im Schöpfungsakt), wie eine absolute Anfangslosigkeit (als Gott oder Materie) ausschließt.

Damit tun wir den dritten und letzten mächtigen Schritt zur Füllung des Individuums mit Eigenwerten an Stelle der Allgemeinwerte.

Weltanschauerisch findet das Individuum seinen Schwerpunkt in sich selber damit, dass es sich als selbständiges Kraftzentrum begreift; Kraft nicht Kraft an sich, ein selbstherrliches, sondern gleich der Flamme sich selber immer wieder ins Leben fressend. Moralisch findet das Individuum seinen Schwerpunkt in sich selber damit, dass es sich als sich selbst verantwortlich begreift. Und jetzt findet es, als letztes auch den religiösen Schwerpunkt in sich selber, indem es dieses Leben auf die anfangslose Kette der vorhergehenden, auf die endlose Kette der folgenden Daseinsformen bezieht. Das Individuum begreift sich in dieser seiner jetzigen Daseinsform nicht mehr als Teilchen der Welt (physischer und metaphysischer Kräfte), sondern als Teilchen seiner selbst. Dieses Teilchen kann jetzt aber nie mehr infinitesimal werden, wie der Welt und dem Gott gegenüber. In jedem Augenblick birgt es das ungeheuerliche Gewicht biologischer, moralischer und religiöser Vergangenheitswerte und ist der immer wieder neue Ansatzpunkt, Keim biologischer, moralischer, religiöser Zukunftswerte.

Der erste Gedanke eines solchen in, durch, mit sich selbst gefüllten Wesens ist: "Genug jetzt für immer! Wie ich mich von Anfangslosigkeit her durch mich selber erhalten habe, so will ich jetzt von meiner letzten und höchsten Fähigkeit, in mir selber einzugehen für immer, zu erlöschen für immer, Gebrauch machen." Denn der Wille ist es, der den Menschen schafft und ihn sich immer wieder auf's neue ins Leben fressen lässt, von einem Augenblick zum anderen und ebenso von einer Daseinsform zur anderen. Er springt über zur neuen Zeugungsstätte, unterhält die Kette der Wiedergeburten - nicht wie eine Schnur Perlen verbindet, sondern wie eine Kraft im Rückschlag Kontinuität gibt. Wo kein Wille mehr ist, da kann kein Ins-Leben-Fressen mehr sein. Wo das nicht mehr ist, da geht die Lebensflamme dem Erlöschen zu - Nibbāna. Und das Wollen hört auf, wenn Erkennen aufgegangen ist, eben so wie Fürchten aufhört, wenn die Sonne aufgegangen ist, und eben so wie Gieren aufhört, wenn man den vermeintlichen soliden Diamanten als bloßen glitzernden Tautropfen erkannt hat. Aber Erkenntnis ist Wachstum überall da, wo sie wirklich ist. Sie taucht nicht auf wie der blaue Himmel, wenn die Wolken schwinden; sie will aufblühen, will auswachsen. Wachstum aber erfordert Zeit, kürzere oder längere, je nach inneren Vorbedingungen und nach der Gunst der äußeren Umstände, sozusagen nach der Brutwärme. Unter dem Schnee wachsen keine Rosen, mag der Keim noch so kräftig sein. Allein die klare Kühle des Erkennens schafft nicht die letzte Frucht dieser Wirklichkeitslehre: Nibbāna. Jedes denkende Wesen, jede mit Bewusstsein begabte Individualwelt hat die Möglichkeit, das Vermögen, still in sich selber zu verlöschen, aber die Verwirklichungsmöglichkeiten schwanken mit den äußeren Umständen und können sich dem entsprechend über eine zahllose Reihe von Daseinsformen hin ziehen, durch das Sterben unendlich oft unterbrochen, aber nur scheinbar; denn die Anlage, die Tendenz, die einmal erlebte Richtkraft arbeitet im nächsten Leben weiter, wie der Same in den neuen Pflanzen weiter arbeitet.

Letzten Grundes hat niemand ein solch wirkliches, lebendiges, ehrliches, ich möchte sagen egoistisches Interesse am sittlichen Wohlergehen der Welt wie der Buddhist, der da weiss, dass er sein nächstes Leben in dieser gleichen Welt ausleben wird, sein Lebensdrama auf dieser gleichen Bühne weiter spielen müssen wird. Die buddhistische Wiedergeburtenlehre ist der wichtigste Faktor zukünftiger Kultur, einer Kultur, die nicht für Kinder, sondern für Erwachsene, mit dem vollen Gefühl der Selbstverantwortlichkeit Begabte, berechnet ist. Meiner Überzeugung nach gibt es, sobald einmal ein gewisser Erkenntnisstand erreicht oder besser: eine gewisse gedankliche Naivität verlassen ist, gar keine andere Möglichkeit wirklicher Kultur und wirklicher Moral als diese Wiedergeburtenlehre. Sie lehrt einerseits, dass wir alle mit unseren Lebensmöglichkeiten aus einer Schüssel essen, ebenso wie sich alle Flammen aus der Erdatmosphäre speisen, und dass daher jeder Einzelne an der Beschaffenheit, am moralischen Stand des Ganzen interessiert ist. Sie lehrt aber andererseits, dass jeder Einzelne in wahrhaft erschütternder Einsamkeit seinen Welt und Lebensweg wandert und auf die Welt nur dadurch wirken kann, dass er auf sich selber wirkt; die Welt nur dadurch besser machen kann, dass er sich selber besser macht. Er ist der Hamlet, der sich berufen fühlt, die aus den Fugen geratene Welt wieder einzurenken. Einrenken lässt sich nur eine Welt: die Ich-Welt. Aber je mehr Ich-Welten sich selber einrenken, um so fühlbarer wird rückläufig die beruhigende Wirkung auf das Ganze werden. Selbstverantwortlichkeit und Mitverantwortlichkeit sind das humanitäre Rüstzeug des Buddhisten. Erstere zwingt ihn, an sich selber zu arbeiten, mit jenem stillen, aber unablässigen, magnetischen Zwang, wie ihn eben nur eine Selbsterkenntnis ausüben kann. Und letztere zwingt ihn zu zeigen, immer wieder geduldig zu zeigen, was er selber erkannt und im Erkennen gewonnen hat. Mitleid mit der Welt ist hier keine bloße Gefühlsregung, sondern das Bewusstsein der Mitverantwortlichkeit und damit des Mit-Leidens.

Der Buddhist hat erkannt, weiss, dass nie wahre, wirkliche Kultur einziehen wird, ehe die Menschheit nicht gelernt hat, ihr eigenes Geschick in die eigenen Hände zu nehmen. Und er weiss ferner, dass derartiges nicht möglich ist in allgemeinen Weltbeglückungstheorien, sondern nur darin, dass eben jeder Einzelne es lernt, sein eigenes Geschick in die Hand zu nehmen, sich als ein für sich selber verantwortliches Wesen zu begreifen. Nicht neue Gesetze und Verträge, nicht neue Staats- und Wirtschaftsformen werden uns wahre Menschheitskultur, die erhoffte neue Weltordnung eines Weltrechts bringen. Das wird nur möglich sein, wenn das widernatürliche Verhältnis zwischen wirklichen und überwirklichen Werten, an dem die ganze Neue Zeit krankt, und das die Folge mangelnden Wirklichkeitssinns des Einzelnen ist, aufhört und durch ein natürliches Verhältnis ersetzt wird.

Die beiden wichtigsten überwirklichen Werte im Leben des modernen Menschen sind die Kirche und der Staat, die sich jetzt eben, in der Glut des Krieges zu einem einzigen Wert, dem Staat, zusammen geschweißt haben. Gewiss ist der Staat mehr als die bloße Summe der ihn bildenden Individuen. Er ist diese Summe plus der ihn haltenden Idee, der Staatsidee. Aber trotzdem ist die einzige Wirklichkeit in ihm das Individuum. Er selber ist Wirklichkeit zweiter Ordnung, Überwirklichkeit und saugt als solcher seine Lebenskraft aus der unmittelbaren Wirklichkeit seiner Glieder. Verlieren diese ihren Wirklichkeitsgehalt, verspinnen sie sich in ein Netz leerer Begriffe und phantastischer Idealismen, so wird sich immer wieder die Widernatürlichkeit gebären, dass der Einzelne Sinn und Bedeutung des Lebens in diesen Überwirklichkeiten sucht, während doch umgekehrt letztere Sinn und Bedeutung aus der Wirklichkeit des Individuums ableiten sollten.

Jeder Fehler hat die Neigung, in einen fehlerhaften Zirkel auszuarten. Je tiefer der Wirklichkeitsgehalt des Individuums sinkt, um so höher steigt die Idealisierung des Staates. Je höher diese steigt, um so stärker saugt er das begriffsdürre Individuum an und beschleunigt dadurch noch dessen Entwirklichung. In diesem Vorgang spiegelt sich die Entwicklungstragik der Menschheit. - Wie der gläubige Hindu zu seinem flammenden Gott, so wird das des Selbstgewichtes beraubte Individuum zu seinen idealen Überwirklichkeiten gezogen, opfert sich auf dem Altar dieser Überwirklichkeiten, rücksichtslos dagegen, dass dieser Altar selber schließlich mit in Flammen aufgehen wird. Und die Tragik des Vorganges findet keinen Ausgleich, sondern im Gegenteil eine Verstärkung darin, dass dieser Kultus des Ideals für den gemeinsten Materialismus der Schrittmacher ist. Es ist ein trauriges Bild der Zeit zu sehen, wie die Ideale gleich dem Pegasus im Joch wiehernd und flügelschlagend und dabei zerschunden und mit bluttriefenden Weichen den schmutzigen Karren des Krämers ziehen.

Unsere Zeit ist jetzt dahin gekommen, dass aus den Überwirklichkeiten, den idealen Allgemeinwerten, sich Sinn und Bedeutung des Lebens bestimmen soll; was eben so viel Sinn hat, als wenn, das indische Sprichwort zu gebrauchen, der Karren den Ochsen ziehen soll. Hilfe kann hier nur im Umdenken von Grund auf kommen, in einer neuen Lebenslehre, die als solche auch Wirklichkeitslehre sein muss und dem Individuum wieder jenen Wirklichkeitsgehalt, jenes innere Schwergewicht gibt, dessen es unbedingt benötigt, um zu einem natürlich ausgeglichenen Verhältnis zu den Überwirklichkeiten, insbesondere zu Staat und Kirche, zu kommen. Erst dann wird es imstande sein, die ewig unveränderlichen Menschheitswerte, intellektuelle wie moralische, vor der Wucht dieser Allgemeinwerte, dieser Idealismen mit ihrem notwendig wechselndem Charakter zu retten.

Auf diesem Umdenken, auf diesem neuen Wirklichkeitsgehalt des Einzelnen beruht letzten Endes die Möglichkeit eines wirklichen Weltfriedens, der als solcher nicht bloß Symptom, sondern Ausdruck wirklicher Friedlichkeit sein muss.

Begünstigende Möglichkeit, Vorbedingung eines Weltfriedens dieser Art ist die Entidealisierung des Staates, wie sie sich jetzt am natürlichsten in der Tendenz zum übernationalen Wirtschaftsstaat zu vollziehen scheint; die wir daher von unserem Standpunkt aus freudig begrüßen, weil mit ihr ein Hemmnis in der Verselbständigung des Individuums, und damit ein Hemmnis wirklicher Kultur fort fällt oder doch gemildert wird. Der Staatsidealismus in der Form der Nationalidee, so notwendig er für einen gewissen Entwicklungsstand des Staates ist, war immer einer der gefährlichsten internationalen Reibflächen, aus der gar zu leicht die Stichflamme des Krieges hoch züngelte. Denn alle Ideale sind letzten Grundes der Ausdruck eines versteckten Hungers. Man mache den Menschen satt und man wird ihn friedlich machen. Satt machen aber kann man den Menschen dauernd nicht von außen her, sondern nur von innen her, im Umdenken. Lehrt die Menschen anders zu denken und ihr werdet sie nicht zwingen brauchen, anders zu handeln. Hier im Individuum, in seiner inneren Änderung liegt der Schwerpunkt unseres Zukunftsproblems, nicht in Änderungen der Staatsformen und Verfassungen, welche letztere stets nur kulturelle Möglichkeiten darstellen und ihrem wahren Sinn und Wesen nach verwirklicht werden können, wo das Individuum ihnen gedanklich gewachsen ist. Unser Zukunftsproblem ist ein Problem der Erziehung, der Selbsterziehung. Alles andere ist ein Symptom und Begleiterscheinung, mag es auch praktisch noch so notwendig sein.

Ein Individuum, das im Denken den Schwerpunkt in sich selber verlegt hat, wird fernerhin weder einem luftigen Idealismus noch einem niedrigen Materialismus zur Beute fallen. Sein Wirklichkeitsgehalt schützt es vor beiden Extremen. Alle Wirklichkeit ist eine natürliche Mitte, die nicht zwischen den Extremen steht wie das unfindbare Wort in der Mitte zwischen Ja und Nein, sondern über ihnen und sie dabei beide im Denken umfasst, sie im eigentlichen Sinne des Wortes begreift. Eine solche natürliche Mitte ist der Buddhismus. Er gibt dem Individuum jenen Wirklichkeitsgehalt, jenes Eigengewicht, jene innere Würde, die es ihm erlaubt, die eigenen Würde gegenüber den Überwirklichkeiten zu bewahren. Ein Wesen, das sich selber als den Erben und immer neuen Abschluss anfangsloser Vergangenheiten und als Keim und immer neues Ansatzstück endloser Zukünfte begriffen hat, das steht den Lebenswerten, idealen wie materiellen, anders gegenüber als ein Mensch, der infolge der Enge seines Horizontes in diesen Werten ertrinkt. Ein Mensch, der begriffen hat, dass seine Lebenslinie weit über alle Überwirklichkeiten zurückreicht; ein Mensch, der mit einer Paraphrase des biblischen Wortes von sich selber sagen kann: "Ich bin älter als der Staat; ehe der Staat war, bin ich." - ein solcher Mensch wird ohne Mühe das richtige Verhältnis zu den Überwirklichkeiten finden. Er wird sie nicht gleich einem protzigen Parvenü verachten. Mit der Noblesse, die jedem echten Adel eigen ist, wird er ihren Wert und ihre Würde erkennen, aber sein eigener Wirklichkeitsgehalt wird ihn stets davor schützen, dass jene ihrerseits ihm Wert und Würde der Persönlichkeit entziehen. Der Bürger, der da begriffen hat, dass Wert und Würde des Staates letzten Grundes aus ihm, dem Individuum stammt, der wird diesem Staat mehr inneren Gehalt und damit auch äußeren Halt geben als derjenige, welcher in kritiklosem Idealismus in der Glut der Staatsidee aufflammt.

Wie innerer Gehalt äußeren Halt gibt, so gibt innere Befriedigung äußeren Frieden. Leben muss seinem Wesen nach begriffen werden, ehe die Lebenswerte richtig eingeschätzt werden können, gleich weit entfernt von Überschätzung wie Unterschätzung. Erst dann kann wirkliche Befriedigung kommen. Erst aus ihr kann wirkliche Friedlichkeit und erst aus dieser wirklicher Friede kommen. Niemand sage, dass das leere Utopien sind. Ein Weg entsteht dadurch, dass er begangen wird, und Menschheitsziele werden dadurch erreicht, dass sie erstrebt werden. Jedes wirkliche Ziel, das nicht nur in formulierten Begriffen besteht, hat etwas Wegartiges. Ob und wie weit es erreichbar ist, wird sich im Vorschreiten selber ergeben. Schließlich ist es ja auch ein Weg, aber ein fehlerhafter Weg, der uns durch andauerndes Beschreiten in diesen elenden, kulturellen Tiefstand gebracht hat. Ein sich beständig steigerndes Misstrauen bei den Regierungen, eine überraschende Urteilslosigkeit bei den Regierten und rücksichtslose Begehrlichkeit allerseits haben die ganze zivilisierte Welt in diesen kulturellen Tiefstand gestürzt und sind damit für den Denkenden Ursache des Krieges, so gut wie irgend ein politisches Moment. Alle drei aber - Misstrauen, Urteilslosigkeit, Begehrlichkeit - sind Ergebnis falscher Einschätzung der Lebenswerte und dieser wieder ist Ergebnis falscher Lebenswerte. Hier muss der Hebel einsetzen! Jeder Einzelne, der diesen Prozess des Umdenkens, der gedanklichen Erziehung an sich selber vornimmt, der sich nach den Anweisungen des Buddha mit neuem Wirklichkeitsgehalt füllt, der wird dem Frieden der Welt mehr nützen als ein Dutzend Friedensfanatiker, die, wenn sie die äußere Macht besitzen, vor keiner Gewalt zurück schrecken werden, im ihren Friedensidealen auf Erden Eingang zu verschaffen. Der beste, ja einzige Weg, die Welt zur Ruhe zu bringen ist der, sich selber zur Ruhe zu bringen. Das ist nur möglich durch Begreifen der Wirklichkeit und dieses wieder verlangt eine Wirklichkeitslehre. Irrtümer gibt es zahllose, die Wahrheit ist nur eine und das ist die Wahrheit, die mit der Wirklichkeit zusammenfällt. Eine andere Wirklichkeitslehre als den Buddhismus kennen wir nicht und die gibt es auch nicht. So sehen wir von unserem Standpunkt aus unsere Hoffnung auf einen künftigen Weltfrieden darin, dass sich das Denken der Welt mehr und mehr mit buddhistischen Richtlinien durchsetzt; woraus sich uns die Pflicht ergibt, ihn zu zeigen, geduldig immer wieder zu zeigen.

Es geht dem Buddhismus hierbei wie allem Echten und Großen auf Erden: Es ist ihm schwer, Eingang zu finden, und doppelt schwer, weil er seinen milden aber mächtigen Ruf nicht an das Herz, sondern an das Denken der Menschheit richtet. Das Herz ist leichter zu bewegen als das Hirn; Gefühle sind leichter zu schaffen als Einsichten. Und wenn diese Einsicht gar so beschaffen ist, dass sie eine entschlossene Umkehrung von der Welt zum eigenen Inneren verlangt; dass sie Erlebnis wird im unerhörten Sinne eines sich selbst Erlebens, so ist ohne weiteres klar, dass das schwierigste beim Buddhismus der Einsatzpunkt ist. Als reine und daher herbe Wirklichkeitslehre findet er in dem entwirklichten, mit allerhand Begriffsbauten und Begriffsgerümpel gefüllten, verstellten Innern gar keinen Raum, wo er aufstehen könnte. Wie ein Verbildeter, der Natur Entwöhnter an reinem Wasser keinen Geschmack findet, sondern künstlich hergerichtetes vorzieht, so geht es dem menschlichen Denken mit buddhistischer Wirklichkeitslehre. Seit unbegrenzten Zeiten sind wir gewohnt, zu uns selber nur auf dem Umweg über die Welt - sinnliche oder übersinnliche - zurückzukehren; seit unbegrenzten Zeiten sind wir gewohnt auf dem unendlichen, hierbei zu durchlaufende Wege ergebnislos zusammenzubrechen oder zu versanden, wie der Strom der die Wüste durchbrechen will um zum freien Weltmeer zu gelangen. Wenn jetzt nun der Buddha kommt, dieser älteste und jüngste aller Lehrer; wenn er sagt: "Es gibt einen Weg zu dir selber; er führt aber nicht über die Welt, nicht über den Gott - es ist das unmittelbare, intuitive Einschnellen in dich selber, in die Wirklichkeit die du dort erlebst."; wenn er sagt: "Es gibt eine Ruhe, es gibt ein Ziel, das liegt aber nicht in einem geschützten Winkel der Welt, nicht in einem göttlichen Schoß - es liegt in dir selber; es kann nicht begriffen, nicht geglaubt werden, es muss erlebt, in dir selber erlebt werden."; so wird er mit diesem Mahnruf an die Menschen wenig Anklang finden. Gewöhnt, Wirklichkeit außerhalb von uns zu suchen, der Wirklichkeit entwöhnt durch ein dürres Begriffsleben, haben wir nicht nur die Fähigkeit, sondern sogar den Geschmack an ihr und damit am Verkehr mit uns selber verloren. Wir gleichen in unserem Verhältnis zur Wirklichkeit einem ungebildeten Menschen, der den Flitterglanz eines bengalischen Feuerwerkes der heiligen Pracht des Sternenhimmels vorzieht. Weniger der Mangel an Verständnis, als vielmehr dieser Mangel an Geschmack für eine Wirklichkeitslehre ist es, der den Buddhismus in unserer, mit Begriffsunkraut durchwurzelten Zeit nicht Fuß fassen lässt.

Dieser mangelnde Geschmack an der Wirklichkeit ist es letzten Grundes, der den modernen Menschen über die ungeheuerliche Simplizität des Buddha-Gedanken stolpern lässt. Man ist sich wohl darüber klar, dass der letzte Sinn aller Weltgeschichte in der Befriedigung des Menschenherzens liegt; denn alles Wallen und Gären hat ja schließlich seinen Grund in irgend einer Unbefriedigung. Aber man zieht es vor, Himmel und Erde in Bewegung zu setzen, die unerhörtesten Opfer an Gut und Blut zu bringen, um dieses Ziel zu erreichen, anstatt dass man sich, mit der Simplizität des Genius, unmittelbar an sich selber wendet. Man hat die Fähigkeit, und was schlimmer ist: den Geschmack daran verloren. Wäre für jeden, der den Buddha begriffen hat, das Vertrauen in die fermentative Kraft der Wahrheit nicht so unbegrenzt groß, so müsste jeder, der in diesem Gedanken lebt, an der Möglichkeit ihm Leben zu verschaffen von vornherein verzweifeln. Aber jeder der den Buddha begriffen hat, der hat auch die unbegrenzte Bildbarkeit, Hämmerbarkeit des Menschengeistes begriffen. Vorläufig wird ein solcher für den Buddhismus als reine Wirklichkeitslehre, als echte Lebenslehre kein Verständnis finden. Ja wenn er auftritt und spricht: "Ihr alle sucht Frieden und Glück. Die Welt ist zerfleischt bis in die Eingeweide durch Begehrlichkeit, durch Hass, durch Wahn. Die Heilmittel liegen nicht da, wo ihr sie sucht: in hochtönenden Allgemeinwerten. Sie liegen in euch selber; nicht in einem wolllüstigen Quietismus , sondern in einem Begreifen der Wirklichkeit wie sie nun einmal ist: nüchtern aber klar, kalt aber rein", ich sage, wenn er auftritt und so spricht, so wird er Spott ernten. Der moderne Mensch ist eben nicht mehr gewohnt, seine Kulturschulden bei sich selber zu decken. Er erwartet die Deckung von der Allgemeinheit. Dass das eigene Innere, in seinem vollen Wirklichkeitsgehalt erfasst, Mittel bergen könnte, aus denen sich ein staatliches, gesellschaftliches Debet ausgleichen ließe, das erscheint ihm vorläufig noch unverständlich, ja als ein Gedanke, den er mit dem überlegenen Lächeln des Weltmannes abtut. Aber er bedenkt dabei nicht, dass diese Allgemeinwerte, bei denen er Hilfe sucht, letzten Grundes ja nichts sind als die Summe der Individualitäten in ihrer Rückläufigkeit und dass er, wenn er bei ihnen Deckung seiner Kulturschulden sucht, nichts tut, als auf Umwegen eine neue Anleihe bei sich selber aufzunehmen, d.h. seine Schulden zu vergrößern. Weil wir wissen, dass wirkliche Deckung der Kulturschulden nur vom Individuum selber ausgehen, bei ihm selber stattfinden kann; weil wir wissen, dass Friede als Friedlichkeit nicht auf Erden einziehen kann, ehe sich nicht der Einzelne selber seinem Wirklichkeitsgehalt nach begreift und damit zu einer wirklichen Einschätzung der Lebenswerte kommt; dass Recht als Gerechtigkeit nicht herrschen kann, ehe sich nicht der Einzelne als sich selber verantwortlich erkannt hat; ehe nicht das in Allgemeinwerte verlagerte Verantwortlichkeitsgefühl in das Individuum zurück verlegt worden ist - ich sage, ehe dieses alles nicht geschehen ist, kann von einer wirklichen Heilung unserer Menschheitsnöte nicht die Rede sein. Ehe nicht diese Rückkehr zur Wirklichkeit, diese Verinnerlichung stattgefunden hat, gleichen alle Versuche unsere Nöte durch Änderung der staatlichen und sozialen Formen zu heilen, dem Gebaren eines Menschen, der das Loch im Mantel mit einem Stück aus diesem gleichen Mantel flickt, oder der einen überflüssigen Haufen Erde dadurch weg schafft, dass er ihn an Ort und Stelle eingräbt, oder der das eindringende Wasser im lecken Schiff immer wieder ausschöpft, anstatt das Leck zu stopfen. Innere Umwandlung wird, wenn auch manchmal spät, aber mit Notwendigkeit Änderung der äußeren Formen nach sich ziehen. Aber Umwandlung der Formen braucht durchaus noch keine innere Umwandlung zu bedingen. Auf letztere allein kommt es an. Form ist vieldeutig. Erst im Denken ergibt sich wahres Wesen. "Denken führt die Dinge an, Denken ist ihr Werkmeister, Denken ist ihr Bildner" lehrt der Buddha. Und erst wenn Denken sich selber begriffen hat, erst dann kann jener ursprüngliche Umschwung einsetzen, der das Schwergewicht des Weltgeschehens aus der lockeren Unendlichkeit der Allgemeinwerte wieder dahin zurück verlegt, wo allein es hingehört und wo allein es dem Gleichgewicht der Welt dienen kann: in das eigene Innere. Das aber bedeutet Friedlichsein aus jener inneren Notwendigkeit heraus, aus welcher alles Große friedlich ist. Wie ein goldenes Gefäß keines äußeren Haltes bedarf, um fest zu stehen - es ist selbstständig in sich selber -, so ist ein solcher in die Wirklichkeit Eingeschnellter selbständig. Er hat Leben begriffen als das, was es wirklich ist. Er hat es begriffen in dem Adel, in der Schwere, in der Tragik einer anfangslosen Selbst-Ahnenschaft, und hat damit jenen inneren Halt erworben, der Friedlichkeit selber ist. Könnte die Welt für sich selber beten, so sollte sie um eins bitten: Um Wirklichkeitssinn. Friede und das Wohlergehen des Friedens sollten dann gewiss nicht ausbleiben. Diesen Wirklichkeitssinn gibt der Buddhismus nicht insofern als er die einzelnen Lebenswerte gegeneinander richtig und mit der nötigen Nüchternheit abschätzen lehrt, sondern insofern, als er vom eigenen Ich und seiner neuen Bewertung aus, alle die zahllosen Lebenswerte an ihrem Ursprung zusammenfasst und in einer Bedeutung begreift, die auf das friedliche Zusammenleben untereinander, auf die Ausschaltung von Reibungsflächen, auf gegenseitige Duldung nur von günstigem Einfluss sein kann. Der Buddhismus gibt der Welt nicht dadurch, dass er ihr neue Ideale, auch nicht das eines Weltfriedens aufdrängt, ein Verfahren, bei dem lediglich neue Streitobjekte in die Welt gesetzt werden, sondern er gibt ihr dadurch, dass er ihr von ihren Irrtümern und Beschränktheiten nimmt. Denn letzten Grundes sind es nur diese Irrtümer und Beschränktheiten, welche den Menschen an einem friedlichen und würdigen Leben hindern, und sie als Persönlichkeiten wie als Allgemeinheiten immer wieder gegen einander stoßen lassen, gleich Menschen, welche im Dunkel gegen einander anstoßen und sich im Dunkeln um Dinge raufen, zu deren richtiger Einschätzung ihnen das beste fehlt - Licht.

 

Verehrung ihm, dem Lehrer!


 

 

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