I
Liebe (mettā)
Liebe,
die nicht besitzen will, weil sie weiß, dass es in Wirklichkeit
keinen Besitz und keinen Besitzer gibt, das ist die höchste Liebe.
Liebe, die nicht "Ich" sagt, weil sie das "Ich"
als Täuschung weiß (anatta).
Liebe, die nicht sondert, wählt und ausschließt,
wohl wissend, dass sie damit nur ihren Gegensatz erzeugt: Missgunst,
Abneigung, Widerwillen und Hass.
Liebe, die alle Lebewesen umfasst: kleine, große, ferne
und nahe, die Bewohner der Erde, des Wassers und der Luft.
Liebe, die alle Wesen umfasst: die edel gesinnten die niedrig
gesinnten, die guten und die nicht-guten. Die Edlen und die Guten
umfasst sie, weil zu ihnen die Liebe zwanglos strömt. Die Niedriggesinnten
und die Nicht-Guten umfasst sie, weil sie der Liebe am meisten bedürfen.
In vielen von ihnen mag der Keim des Guten verkümmert sein, weil
ihm die Wärme fehlte zu seinem Gedeihen, weil er in liebloser
Umwelt erfror.
Liebe, die alle Wesen umfasst, wohl wissend, dass sie alle
unsere Weggefährten sind auf der Weltenwanderschaft, Genossen
unseres Leidens. Gemeinsames Erleiden ist ein starkes Band unter den
Wesen.
Liebe - doch nicht jene verzehrende, brennende Glut der Sinne,
die mehr Wunden zufügt als heilt; die jetzt aufflackert,
im nächsten Augenblick verlischt und nur um so stärkere
Kälte zurück lässt.
Liebe vielmehr, die wie eine milde und doch starke Hand auf
den leidenden Wesen ruht, stets sich selber gleich, ohne Schwanken,
unbeirrt, welche Erwiderung sie findet. Erquickende Kühlung dem,
der in des Leidens und der Leidenschaften Flammen brennt. Belebende
Wärme dem, den die Kälte der Verlassenheit angerührt
hat, der im Frost einer lieblosen Welt erzittert, dessen Herz leer
geworden ist über Hilferuf und Verzweiflung.
Liebe, die eine wissende, verstehende, helfende Güte ist,
Liebe, die Kraft ist und Kraft gibt - das ist
die höchste Liebe.
"Befreiung des Herzens" nannte der Erhabene die Liebe.
"Erhabenste Schönheit" nannte der Erhabene die Liebe.
Und was ist die höchste Tat der Liebe?
Den Wesen durch Tat und Wort den Weg der Leidbefreiung zu zeigen,
wie er gewiesen, gegangen und vollendet wurde von Ihm, dem
Erhabenen, dem Buddha.
II
Mitleid (karuṇā)
Die Welt leidet,
doch die meisten Menschen verschließen ihr Auge, verschließen
ihr Ohr. Sie wollen nicht den Tränenstrom sehen, der durch die
Welt fließt, sie wollen nicht den Leidensschrei hören,
der beständig durch die Welt ertönt. Ihre eigene kleine
Sorge oder Freude versperrt ihnen den Blick und macht taub ihr Ohr.
Im Gefängnis ihres kleinen "Ich" ist ihr Herz erstarrt
und eng geworden. Ein also starres und enges Herz, wie wäre es
fähig, nach Hohem zu streben und zu verstehen, dass nur die Lösung
aus selbstischer Enge die Befreiung vom eigenen Leid ermöglicht.
Da ist Mitleid, der große Riegelheber. Mitleid
vermag das Tor in die Freiheit zu öffnen - das kleine Herz zum
Umfangen der Welt zu weiten - die lastende, lähmende, dumpfe
Schwere von ihm zu nehmen - dem Erd- und Ich-Gebundenen Flügel
zu verleihen.
Durch Mitleid ist uns Leiden immer gegenwärtig, auch dann,
wenn es nicht zu uns selber kommt. Es gibt reiche Erfahrung im Leid,
in seinen mannigfachen Formen und stählt und schult uns so, dem
Leid zu begegnen, wenn es uns selber trifft.
Mitleid versöhnt mit dem eigenen Geschick, indem uns das
noch schwerere anderer Wesen zeigt.
Dieser lange Zug leidender Wesen - Tiere und Menschen -, das alles
warst du selbst einmal in der endlosen Kette der Wiedergeburten! Also
wissend, öffne dein Herz dem Mitleid!
Und dies alles kannst du auch wieder einmal werden. Bist du mitleidlos,
so wirst du nach Mitleid seufzen. Fehlt dir Verstehen für das
Leid des Anderen, so wirst du es, oft schmerzlich, durch eigene Erfahrung
erwerben müssen. So will es das Gesetz des Wirkens. Also wissend,
wache über dich selbst!
Im Nichtwissen befangen sind die Wesen. Im Wahne befangen häufen
sie Leiderfahrung auf Leiderfahrung, ohne die Ursache zu kennen, ohne
den Ausweg zu finden. Das - nicht die einzelne Schmerzempfindung der
Wesen - ist der tiefste Grund für unser Mitleid. So wird
auch dem unser Mitleid gelten, den wir zwar augenblicklich im Glück,
aber dabei Übles und Törichtes wirken sehen, denn in seinem
jetzigen Tun sehen wir sein künftiges Leid.
Das Mitleid des Wissenden aber "leidet" nicht mehr
"mit". Sein Geist, sein Wort, sein Tun sind voller Erbarmen.
Doch sein Herz erzittert nicht dabei, es bleibt ruhig und fest. Wie
könnte er sonst helfen?
Möge uns solches Mitleid werden!
Mitleid, das wissende, verstehende, helfende Güte ist.
Mitleid, das Kraft ist und Kraft gibt - das ist
höchstes Mitleid.
Und was ist die höchste Tat des Mitleids?
Den Wesen durch Tat und Wort den Weg der Leidbefreiung zu zeigen,
wie er gewiesen, gegangen und vollendet wurde von Ihm, dem
Erhabenen, dem Buddha.
III
Mitfreude (muditā)
Nicht nur in Mit-Leid,
sondern auch in Mit-Freude öffne dich den Wesen!
Karg bemessen ist Glück und Freude in der Welt: "Leid überwiegt",
hat der Erhabene gesagt.
Wenn nun dies Wenige an Glück und Freude den Wesen zuteil wird,
so mögest auch du dich mit ihnen darüber freuen, das ein
Lichtstrahl das Dunkel ihre Leidens erhellte, die grauen, trüben
Nebel ihres Alltages zerriss.
Dein Leben wird an Freude gewinnen, wenn du Freude anderer
Wesen zu deiner eigenen machen kannst.
Sahest du nicht schon, wie im Augenblick der Freude das Antlitz eines
Menschen sich wandelte und verklärte? War dies nicht schön
und eine beglückende Erfahrung, besonders, wenn du selbst der
Anlass dieser Freude warst. Erlebtest du nicht schon, wie Freude gute,
edle Entschlüsse und Taten in einem Menschen weckte, die über
sein gewöhnliches Maß hinausgingen? War dies nicht noch
schöner und beglückender? An uns liegt es, dieses
Schöne und Beglückende der Mitfreude öfters zu erleben,
indem wir selber Freude schaffen, selber den Wesen Freude geben.
Keine Schätze und Reichtümer bedarf es dazu, sondern eines
liebenden Herzens, das wirklich den Nächsten (und nicht nur seinen
Schatten) sieht und das die Mitfreude kennt.
Lehren wir auch die Menschen, sich zu freuen! Wie viele haben
es verlernt und vergessen! So leidvoll das Dasein auch ist, es enthält
doch Möglichkeiten der Freude und des Glücks, die viele
nicht kennen. Lehren wir die Menschen diese vernachlässigten
Quellen der Freude und des Glücks zu suchen und zu finden: in
sich - und, als Mitfreude - im Anderen! Lehren wir sie, immer
höhere und edlere Freuden zu entdecken!
Hohe und edle Freude ist in der Lehre des Buddha nicht fremd. Zu Unrecht
gilt sie als Lehre der Trübsal. Führt sie doch vielmehr
von Stufe zu Stufe zu immer reinerem und erhabenerem Glück.
Hohe, edle Freude ist ein Helfer auf dem Pfade der Leidbefreiung.
Denn nur der Geist des Freude-Erfüllten, nicht des Leid-Verstörten
vermag jene heitere Ruhe zu finden, die zur Sammlung führt. Und
nur ein ruhevoller, gesammelter Geist vermag zur erlösenden Weisheit
durchzudringen. Je höher und edler die Freude im anderen ist,
je größer wird unsere Mitfreude sein.
Ein Grund zur Freude ist der gute Wandel des Anderen, der ihm gute
Frucht verbürgt in diesem und im künftigen Sein. Bestärken
wir ihn darin! Ein höherer Grund zur Freude ist sein Vertrauen
zur Buddhalehre, sein Verstehen der Lehre, sein Wandel in der Lehre.
Helfen wir ihm darin und machen wir uns selber fähig, ihm darin
immer mehr zu helfen.
Mitfreude, die wissende, verstehende, helfende Güte ist,
Mitfreude, die Kraft ist und Kraft gibt - das
ist höchste Mitfreude.
Und was ist die höchste Tat der Mitfreude?
Den Wesen durch Tat und Wort den Weg der Leidbefreiung zeigen, wie
er gewiesen, gegangen und vollendet wurde von Ihm, dem Erhabenen,
dem Buddha.
IV
Gleichmut (upekkhā)
Gleichmut
ist das vollkommene, unerschütterliche Ebenmaß des Gemütes,
wurzelnd in Erkenntnis.
Wenn wir nun um uns blicken in die Welt und in uns, in unser Herz,
so sehen wir, wie schwer es ist, ein Ebenmaß des Gemütes
zu erwerben und es zu bewahren.
Wir sehen das ununterbrochene Auf und Ab des Lebens, auch unseres
Lebens. Wir sehen Aufstieg und Sturz, Erfolg und Misslingen, - wir
erfahren Ehre und Verachtung, Lob und Tadel, und wir fühlen,
wie unser Herz auf all dies antwortet mit Glück und Schmerz,
Entzückung und Qual, Enttäuschung und Befriedigung, Furcht
und Hoffnung. Und die mächtigen Wogen des Gefühls reißen
uns hinauf, schleudern uns hinab und kaum haben wir in einem kurzen
Intervall der Stille Atem geschöpft, so kommt eine neue Welle
und treibt ihr Spiel mit uns. Wie können wir Fuß fassen
auf dem Kamm einer Woge? Wie können wir Bauwerke errichten im
Flutbereich dieser Welt, es sei denn, auf dem Felsen-Eiland des Gleichmuts?
Eine Welt, wo das Wenige an Glück, das den Wesen zuteil wird,
meist nur nach vielen Enttäuschungen, Fehlschlägen und Niederlagen
erreicht wird,
eine Welt, wo nur der Mut, immer wieder neu zu beginnen, Erfolg verspricht
- wo karge Freude nur inmitten von Krankheit, Trennung und Tod erwächst
- wo ein Wesen, mit dem wir eben noch in Mitfreude verbunden
waren, im nächsten Augenblick schon unser Mitleid benötigt
- eine solche Welt braucht Gleichmut.
Doch es muss ein Gleichmut sein, der wache Kraft ist, nicht stumpfe
Gleichgültigkeit; der, in bewusster Pflege stark geworden, nicht
abhängig ist vom Zufall einer Stimmung. Ein Gleichmut, der nicht
erst durch mühsame Anstrengung immer wieder neu erzeugt werden
muss, sich dadurch selber erschöpft und abnützt und schließlich
so unterliegt; ein Gleichmut vielmehr, der die Fähigkeit der
Selbsterneuerung besitzt. Doch nur ein Gleichmut, der in Erkenntnis
wurzelt, hat diese Kraft.
Welches ist nun diese Erkenntnis?
Es ist das Wissen darüber, woher all dieses Erleben kommt, das
den Menschen beglückt und quält, ihn zittern und hoffen
lässt; es ist ferner das Wissen davon, wen dieses Erleben trifft.
Alles, was uns widerfährt, stammt aus dem Mutterschoß unseres
Wirkens in Taten, Worten und Gedanken (kamma-yoni). Wir sind
gleichsam die Eigentümer unseres Wirkens (kammassakka).
Nicht entlassen wir die Tat aus unserem "Besitz", wenn sie
auf andere Menschen gerichtet ist. Sie bleibt unser "eigen",
da sie zunächst einmal auf uns selber wirkt, uns zum Guten oder
Schlechten verändert. Und auch in ihren Folgen kehrt sie zu uns
zurück, fällt uns zu als das uns gebührende Erbe (kamma-dāyāda).
Nichts, was uns widerfährt, kommt aus einem bedrohlich-unbekannten
Fremden, aus einem feindlichen "Außen", es kommt aus
unserem eigenen Wirken. Ein solches Wissen ist die erste Quelle des
Gleichmuts, denn es befreit uns von der Furcht, die
so oft den Gleichmut stört. In allem, was uns widerfährt,
begegnen wir nur uns selbst. Vor was also sollten wir uns fürchten?
Und befällt uns doch einmal die Furcht vor dem Ungewissen, so
kennen wir die sichere Zuflucht: nämlich unser Wirken, unser
gutes Wirken (kamma-paṭisaraṇa). Vertrauen
erfüllt uns zur schützenden Kraft jenes Guten, das wir in
der Vergangenheit taten. Und Mut erfüllt uns, eben in dieser
Gegenwart Gutes zu wirken, selbst dann, wenn gerade die Last eines
schweren Geschickes auf uns ruht. Denn wir wissen, dass es für
gutes Wirken niemals zu spät, dass dazu immer die "rechte
Zeit" ist; dass der Segen davon nicht nur in ferner Zukunft,
sondern auch schon jetzt während des Tuns erfahren wird. Je länger
wir uns bewusst üben, Gutes zu tun und Schlechtes zu meiden,
desto stärker wird in uns die Gewissheit: Mehr und mehr schwindet
Übles, nur noch Gutes kann die Zukunft bringen! Und durch solche
Gewissheit entsteht in uns Freude und Verrauen, Geduld und Gleichmut.
Dann wird das Wirken zum Freund (kamma-bandhu) und mit ihm
jene Wechselfälle des Lebens, die das Ergebnis unseres Wirkens
sind. Auch sie werden zu Freunden, selbst wenn sie uns Leid bringen.
Unser Wirken kehrt zu uns oft in einer Form zurück, in der wir
es schwer oder gar nicht wieder erkennen.
Seine Ergebnisse mögen uns begegnen in einer unerwarteten Rückwirkung,
die es bei anderen auslöst. In einer überraschenden Veränderung
unserer eigenen Situation usw. Hierin werden Folgen unseres Wirkens
sichtbar, die vorher nicht bedacht wurden: es werden unterbewusste
Triebkräfte deutlich, die zuvor verhüllt waren durch andere
Motivierungen. Wenn wir nun für diese Dinge einen Blick erwerben;
wenn wir diese Botschaften, die wir ja selbst entsandt haben, zu lesen
verstehen, samt dem Kommentar, den das Leben dazu schreibt - dann
wird uns das Leid zu einem wohl strengen, doch wahrhaftigen und wohlmeinenden
Freund, der uns belehrt und warnt. Leiderfahrung belehrt uns über
den schwierigsten Gegenstand - über uns selbst. Sie warnt uns,
oft im letzten Moment, vor Abgründen, auf die wir uns zu bewegen.
Wenn wir so das Leid als Freund und Lehrer betrachten, so wird es
uns leichter, ihm mit Gleichmut zu begegnen. Dann wird schließlich
die Lehre vom Kamma zum Ansporn, uns vom Kamma selbst
zu befreien, d.h. von all dem Wirken, das uns immer wieder in das
Leid der Wiedergeburten stürzt, das immer wieder unsere Kraft,
unseren Widerstand, unseren Gleichmut zu brechen sucht. So öffnet
uns die Lehre vom Kamma das Tor zur Erlösung, zum
Heiligen Gleichmut.
Die zweite Erkenntnis, auf die sich der Gleichmut gründen muss,
ist die Lehre des Buddha vom Nicht-Ich (anatta), welche diejenigen
im konventionellen Sinn gebrauchten Worte berichtigt, die wir oben
nur um einer vorläufig vereinfachten Darstellung willen benutzt
haben, wie "eigenes Wirken" und ähnliches. Die
Lehre vom Nicht-Ich zeigt, dass das Wirken weder von einem Ich, einer
Persönlichkeit ausgeht, noch in seinen Folgen ein Ich oder eine
Persönlichkeit trifft. Sie zeigt, dass, wo kein Ich ist, auch
kein "Mir eigen" sein kann. Es ist das Ich-Denken, das Leiden
schafft, Gleichmut verhindert oder ihn zum Wanken bringt. Wird diese
oder jene Eigenschaft getadelt, so denkt man: "Mich tadelt man"
und der Gleichmut wird erschüttert. Schlägt dieses oder
jenes Werk fehl, so denkt man: "Mein Werk ist misslungen"
und Gleichmut zerbricht. Schwindet Reichtum, so denkt man: "Mein
Besitz ist dahin" und Gleichmut geht verloren.
Will man nun den Gleichmut sicher ergründen, so hat man sich
allmählich zu üben im Aufgeben des Mein-Gedankens,
beginnend mit Dingen, von denen man sich ohne große Schwierigkeiten
trennt, bis zu Besitztümern und Zielen, an denen man mit seinem
ganzen Herzen hängt.
Stufenweise hat man sich zu üben im Aufgeben des Ich-Gedankens,
beginnend mit einem kleinen Ausschnitt seines sogenannten Ichs: mit
Eigenschaften geringer Wichtigkeit, kleinen Gewohnheiten und Schwächen;
bis man schließlich zu jenen Gefühlen und Gedanken, Zuneigungen
und Abneigungen kommt, mit denen man sich völlig identifiziert,
völlig verwachsen fühlt, die man für das Zentrum des
Ichs hält.
Je mehr man sich vom Ich- und Mein-Gedanken löst, desto stärker
wird der Gleichmut. Denn wie sollte das, was man als fremd und wesenlos
erkennt, Beunruhigung bringen, sei es durch Lust oder durch Leid?
So führt die Lehre vom Nicht-Ich direkt auf den Weg zur
Erlösung zum Heiligen Gleichmut.
Gleichmut
ist die Krönung und Vollendung der Erhabenen Weilungen.
Nicht ist dies so zu verstehen, als ob Gleichmut die drei anderen
Weilungen, Liebe, Mitleid und Mitfreude aufhebt und hinter sich lässt.
Vielmehr: Gleichmut umgreift, durchdringt, durchsättigt
sie völlig - so wie auch vollendetster Gleichmut seinerseits
von diesen dreien durchdrungen sein muss.
So nun ist der
"Erhabenen Weilungen" gegenseitige Durchdringung:
Liebe, die unbegrenzte, schrankenlose, bewahrt das Mitleid
davor parteiisch zu werden, sich wählend und ausschließend
zu umgrenzen und sich so von der anderen, ausgeschlossenen Seite zu
entfremden. Liebe gibt für Mitfreude das stärkende
und tiefere Motiv und spornt an, Gelegenheiten für Mitfreude
zu schaffen. Liebe gibt dem Gleichmut von ihrer Selbstlosigkeit, Unbegrenztheit,
Wärme und bezwingenden Kraft.
Mitleid bewahrt die Liebe und die Mitfreude davor, über dem zeitlichen
und begrenzten Glück, das sie selber umschließen und den
anderen geben, das nicht zu vergessen, dass gleichzeitig mit diesem
Glück furchtbarstes Leiden besteht; dass eben dieser Bau des
Glückes auf einem Leidens-Grund errichtet ist; dass es mehr Leiden
gibt als Liebe und Mitleid zu lindern vermögen; dass, nachdem
die Wirkung dieses Linderns verklungen, wieder Leiden da sein wird,
so lange bis nicht die Wurzel des Leidens vernichtet ist. Mitleid
duldet nicht, dass sich Liebe und Mitfreude abschließen gegen
die weite Welt außerhalb ihres Bezirkes, dass sie selbstgenügsam,
selbstzufrieden, in ängstlich gehütetem "kleinen Glück"
ihr Leben fristen. Unablässig drängt das Mitleid
dazu, dass Liebe ihr Bereich erweitert, dass Mitfreude neuen Anlass
erhält, dass beide zu wahrhaft "unerlässlichen"
werden. Wie alle vier Weilungen auch genannt werden.
Mitleid schützt den noch nicht völlig gereiften Gleichmut
davor, in Gleichgültigkeit zu verfallen, bewahrt ihn vor
selbstischem, allzu bequemen Sich-Abschließen, führt ihn
immer wieder auf das Kampf-Feld der Welt, sich dort zu bewähren,
zu härten, zu stählen.
Mitfreude gibt der Liebe die nötige Nahrung und
Belebung, die sie davor schützt, matt zu werden. Mitfreude
bewahrt das Mitleid davor, sich allzu tief in das Leiden einzugraben,
von ihm überwältigt und dadurch selbst mitleidsbedürftig
zu werden. Sie löst die Spannungen, besänftigt das Brennen
des mitleidenden Schmerzes. Mitfreude verhindert, dass das
Mitleid zu einem ergebnislos in sich kreisenden, sich selbst verzehrenden
Gefühl wird; so führt es zu tätigem Erbarmen, so dass
der Gegenstand des Mitleids zu einem der Mitfreude werde. Mitfreude
gibt dem vollendeten Gleichmut die ruhige Heiterkeit und Milde,
die ihm eignet. Sie ist das Lächeln auf dem Antlitz des Erleuchteten
- ein Lächeln, das sich zeigt trotz seines durchdringenden Leidwissens,
trotz eines tiefen Mitleids. Ein Lächeln ist es, das Trost
gibt, Hoffnung, Furchtlosigkeit und Zuversicht. "Geöffnet
sind die Tore des Todlosen", so spricht es.
Gleichmut nun, der in Erkenntnis wurzelt, ist in den anderen
Dreien die lenkende und zügelnde, die Richtung weisende und über
die Einhaltung der Richtung wachende Kraft. Gleichmut bewahrt
Liebe und Mitleid davor, sich fruchtlos zu verströmen,
sich in Labyrinthe zu verirren. Er hindert Mitfreude daran,
mit Geringerem, Unzulänglichem zufrieden, das Ziel zu vergessen.
Gleichmut ist das "gleiche Maß" der Liebe,
ihre Beharrlichkeit und Treue; er ist in ihr die große Tugend
der Geduld, an deren Mangel so oft die Liebe zerbricht. Gleichmut
erscheint im Mitleid als der "gleiche Mut", die Unerschrockenheit
vor den Abgründen, die sich vor dem Mitleid auftun. Dem tätigen
Erbarmen verleiht Gleichmut die ruhige, sichere, kraftvolle, wissende
Hand, die der Helfende braucht. Und wiederum ist er auch hier beim
tätigen Mitleid die Geduld, die geduldige Hingabe an das Werk.
Gleichmut ist die Krönung und Vollendung der drei ersten
Erhabenen Weilungen. Diese nämlich, wenn unverbunden mit Gleichmut,
mögen verglichen werden mit einzelnen guten Eigenschaften eines
Menschen, die, ohne das Bindeglied eines zielbewussten Charakters,
sich verschwenden, nicht zur vollen Auswirkung gelangen und sogar
manchmal den Menschen in eine Richtung drängen, die seinem eigentlichen
Lebensziel und dem Wohl anderer entgegengesetzt ist. Es ist der sogenannte
"Charakter" einer Persönlichkeit, der die einzelnen
Eigenschaften zu einem organischen Ganzen zusammenfasst, sie miteinander
sinnvoll verknüpft, ihnen die Richtung gibt und so die kraftvolle
Harmonie einer Persönlichkeit schafft. Ganz genau so wirkt Gleichmut
auf die drei anderen "Weilungen". So ist er Krönung
und Vollendung.
Gleichmut ist vollkommenes, unerschütterliches Ebenmaß
des Gemütes, wurzelnd in Erkenntnis.
Nicht ist seine
Vollkommenheit und Unerschütterlichkeit die leblose Starre und
passive Beharrungskraft der Materie, ist nicht Stumpfheit, Fühllosigkeit
und Kälte. Seine Unerschütterlichkeit kommt nicht aus irgend
einem Mangel, sondern aus der Fülle. Sie ist nicht die Unempfänglichkeit
eines kalten, toten Gesteins, sondern eine lebendige Kraft, die alles,
was sie erschüttern will zu überwinden nur in sich einzubeziehen
vermag.
Beseitigt sind
alle hemmenden Stauungen des Inneren, geschwunden alle abwärts
reißenden Wirbel von Gefühl und Gedanke. Ungehindert in
ruhig-kraftvollem Gleichmaß fließt der Strom des durch
den Gleichmut geläuterten Bewusstseins dahin. "Rechte Achtsamkeit"
(sati) hat die Wärme des "Vertrauens" (saddhā)
mit der Schärfe der "Weisheit" (pañña)
geeint, hat die "Kraft des Willens" (viriya) mit
der "Sammlung des Geistes" (samādhi) zum Ebenmaß
gebracht, und diese harmonisierten fünf "inneren Fähigkeiten"
(indriya) sind zu unverlierbaren "Kräften" (bala)
geworden. Unverlierbar sind sie, weil sie sich nicht mehr an die Dinge
verlieren. Die "Kräfte" strömen aus; doch da sie,
bewacht durch rechte Achtsamkeit, sich nirgend binden, kehren sie
unvermindert zurück. Liebe, Mitleid, Mitfreude strömen aus;
doch da sie, bewacht durch Gleichmut, nirgend haften, kehren sie ungeschmälert
zurück. So nimmt der Heilige (denn von ihm haben wir jetzt gesprochen)
nicht ab durch Geben, wird nicht ärmer durch Schenken. Der Heilige
ist wie der klare, wohlgeschliffene Kristall, der, da er selber ohne
jeden verdunkelnden Makel ist, alle Strahlen voll aufnimmt und sie
gesammelt und dadurch verstärkt wieder aussendet. Nicht nimmt
der Kristall selber die Farbe der mannigfachen Strahlen an, nicht
verliert er seine Reinheit und Klarheit. Und viel weniger noch vermögen
diese Strahlen ihn zu durchbohren oder sein harmonisches Gefüge
zu stören.
"Gleichwie
alle Flüsse in der Welt in das große Meer eintreten und
alle Wasser vom Luftraum sich darin ergießen und dadurch weder
eine Verminderung noch ein Vollwerden des großen Meeres wahrzunehmen
ist" -
eben so ist es auch mit dem heiligen Gleichmut.
Heiliger Gleichmut
- oder wie wir auch sagen mögen: der gleichmütige Heilige
- ist die Innere Mitte der Dinge. Wohl unterschieden sei sie von den
vielen relativen Mittelpunkten stofflicher und geistiger Kraftfelder,
welche, sich wandelnd, auch ihren Mittelpunkt verlegen. Die Innere
Mitte des heiligen Gleichmutes ist unerschütterlich, denn sie
ist unverstörbar von außen. Sie ist unverstörbar von
außen, weil sie ohne Hangen ist. - Für das, was abhängig
ist, gibt es auch Bewegung; für das, was nicht abhängig
ist, gibt es keine Bewegung; wo keine Bewegung ist, ist Ruhe; wo Ruhe
ist, da ist kein Verlangen; wo kein Verlangen ist, da ist kein Kommen
und Gehen; wo kein Kommen und Gehen ist, ist kein Vergehen und Neu-Entstehen;
wo kein Vergehen und Neu-Entstehen ist, ist weder ein Hienieden noch
ein Jenseits, noch ein Etwas zwischen den beiden. Eben dies ist das
Ende des Leidens."
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