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"Ich und meine Meditation"
oder:
"Wie man es nicht machen soll"

Eine entsetzliche Geschichte, von vorn bis hinten zusammengelogen und trotzdem wahr.

  von Isidor Silberstein

 

Der Purpur-Buddha
Moderne Darstellung aus Kunststoff.


Vor mir liegt die Ausgabe einer buddhistischen Zeitschrift. Ich bin entzückt von den tiefsinnigen Artikeln über die erhabenen Wege und Ziele der Meditation, aber am Ende kommt mir der Gedanke: "Warum bloß ist das alles so furchtbar seriös? Man ertrinkt ja fast in lauter Erhabenheit. Ist denn da niemand, der diesen heiligen Ernst mal ein bisschen durch den Kakao zieht?" Das will ich nun tun, ungeachtet der Gefahr, mich der Lächerlichkeit preiszugeben. Ob man die Welt verändern, oder bloß die Menschen verhohnepiepeln will, man muss damit bei sich selbst beginnen.

Ich will Euch berichten, wie es mir bei meiner jüngsten Meditation ergangen ist. Rümpft nicht die Nase! Um einen Kasten Bier oder eine Flasche Schnaps möchte ich wetten, dass es Euch schon ebenso oder ähnlich ergangen ist.

Ich sitze da und meditiere, von einem seligen Hochgefühl ergriffen. Ich denke "Jetzt stehe ich vor einem entscheidenden Durchbruch." Ich schwimme fast weg vor lauter Seligkeit, doch die Seligkeit geht mehr und mehr in einen Zustand nebelhafter Verklebtheit über, und dann versinke ich im Dunkel.

Nach einiger Zeit, es mögen eine oder zwei Stunden verstrichen sein, wird es wieder hell. Was ist geschehen? War das der entscheidende Durchbruch oder - ? Ich gähne und reibe mir verschlafen die Augen. Dann aber packt mich das Entsetzen: "Habe ich etwa den entscheidenden Durchbruch verpasst?" Ich bin wieder hellwach und mach' mir bittere Vorwürfe. Doch bald bin ich dessen müde und sage mir: "Ach lass doch! Es war jedenfalls herrlich und wunderbar. Das nächste Mal schlaf' ich noch länger."

Nun ergreift mich tödliche Langeweile. Auf einmal habe ich eine glänzende Idee: "Ach, ich übe mal ein bisschen Mettā (liebende Güte)." Getreulich rekapituliere ich die Anweisungen meines Freundes, an die ich mich noch schwach erinnere: "Zuerst diejenigen mit liebender Güte bedenken, die mir lieb und wert sind; dann diejenigen, die mir nicht viel bedeuten; und zuletzt diejenigen, die ich nicht leiden kann."

Die Übung geht los. Ehe ich mich versehe, kommt mir eine wunderschöne Frau in den Sinn. Ich habe ihr kürzlich noch den Hof gemacht, bekam aber einen Korb. Trotzdem kann ich sie nicht vergessen. Wenn das nicht wahre liebende Güte ist!

Schon erscheint sie vor meinem geistigen Auge in strahlender göttlicher Verklärtheit, mit einem liebenswürdigem Lächeln auf dem Gesicht. Ich strecke meine Arme aus. "Oh himmlisches Bildnis", doch ihr Lächeln nimmt einen leicht höhnischen Zug an. Was soll das? Da beginnt doch dieses göttliche Flittchen sich auszuziehen. Hingerissen betrachte ich mit meinem geistigen Auge diesen erhabenen Striptease. Ich bin verzückt, gerate aus dem Häuschen, zerfließe fast von dem hehren Kitzel, der von allen Seiten durch die Poren in mich einzudringen scheint. Den Gedanken "Möge sie glücklich sein" habe ich längst vergessen.

Eine Weile geht das noch so weiter, dann schallt es aus mir heraus mit Donnerstimme: "Schluss jetzt!" Ich komme mir vor, wie aus den Wolken gefallen. Wo ist meine Göttliche? Einfach verschwunden! "Oh, wie vergänglich doch alles ist!", beginne ich zu philosophieren, lasse jedoch den Gedanken schleunigst wieder fallen, denn ich will mir ja nicht durch Betrachtungen der Vergänglichkeit die Stimmung noch mehr verderben.

Getrieben von dem Wunsch, weiterhin schöne Zustände zu erleben, übe ich weiter. Jetzt sind die Vielen an der Reihe, die mir im Alltag begegnen, auf Straßen und Plätzen, in Bussen und Bahnen, in öffentlichen Gebäuden und wo auch immer. Ich stelle mir bestimmte Typen vor, die mir irgendwann mal aufgefallen sind, doch mein Herz bleibt kalt. Der Gedanke "Mögen sie glücklich sein" erstickt in gelangweilter Gleichgültigkeit. Nie habe ich eine coolere Meditation erlebt.

Jetzt frage ich mich: "Was wird wohl passieren, wenn ich mir jetzt einen Typ vorknöpfe, den ich ganz und gar nicht leiden kann? Wird dann wohl die Sache interessanter?"

Schon fällt mir jemand ein, mit dem ich neulich noch Krach gekriegt hatte. In mir kocht es. "Möge er glücklich sein!, Möge er glücklich sein!", denke ich, so laut ich kann, doch mir schwillt der Kamm. Noch lauter denke ich: "Möge er glücklich sein!, Möge er glücklich sein!", doch nun kann ich mich nicht mehr halten. Ein Aufschrei der Wut steigt tief aus meinem Bauch herauf, und hinterher der fromme Wunsch:

" 'Ne Nas' soll er kriegen wie'n Entenei!
Und Hühneraugen, an jedem Zeh gleich zwei!
Ach möge er die Krätze kriegen,
ein dickes Furunkel an jedem Finger,
damit er sich nicht kratzen kann!"

Zerknirscht betrachte ich das Ende meiner so hoffnungsvoll begonnenen Meditation. Ich genehmige mir ein Gläschen, um den Ärger über meine Wut zu ertränken. Viel nützt es nicht. Mich packt tiefe Reue. Mit hängenden Schultern gehe ich zu meinem Freund und berichte ihm von meinem Missgeschick. Doch statt mich zu trösten, schimpft er mich aus: "Du Blödian! Habe ich Dir nicht immer gesagt, Du sollst bei der Mettā-Meditation nicht an schöne Frauen denken? Du aber tust es trotzdem. Und was kommt dabei heraus? Ein Trip erotischer Verzückung, den Du für 'wahre Liebe' hältst. Habe ich Dir nicht auch gesagt, Du sollst Dich nicht auf Typen einlassen, die Du nicht ausstehen kannst? Du aber weißt es besser und kriegst auch prompt einen Wutanfall. Das Schlimmste aber ist, dass Du nie merkst, in was Du gerade hinein taumelst. Darum hör' mir auf, vom 'großen Erwachen' zu träumen! Mach' nur weiter so, und Du wirst auf einem verwunschenen Planeten als verschlafener Dinosaurier wiedergeboren, statt 'vom Licht zu erwachen', wie Du immer so schön poetisch sagst."

Soweit die Standpauke meines Freundes. Wie ein begossener Pudel schlich ich mich von dannen. Nun frage ich Euch, meine lieben Freundinnen und Freunde: "Wollt Ihr, dass Euch auch solche Dinge widerfahren, oder wollt Ihr nicht lieber gleich ganz weise sein und gar nicht erst mit dem Kram anfangen? Ihr müsst doch einsehen, dass es der bequemere Weg ist." Bloß wohin er führt - diese Frage wollen wir uns lieber nicht stellen.



 

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