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Der zerbrochene Buddha

6. Rechtfertigung des Vinaya

 

Thanissaro und andere Theravāda-Fundamentalisten indes behaupten, dass strikte Vinaya-Praxis dazu beiträgt, Harmonie innerhalb des Saṅgha zu gewährleisten. Es existieren wenig historische Beweise, die diese Behauptung stützen. Thanissaros Buch enthält viele Äußerungen wie, "An Stellen, wo die alten Kommentare mit dem Kanon in Konflikt geraten …", "Eine der Schwierigkeiten, um die vielen unterschiedlichen Texte zu vergleichen, ist, dass es Punkte gibt, bei denen der Vibhaṅga zum Wortlaut der Pātimokkha-Regeln im Widerspruch steht und die Kommentare im Widerspruch mit dem Kanon", "Es gibt viele Bereiche, in denen der Vibhaíga unklar ist und eine Vielzahl von gleichrangigen Interpretationen zulässt" usw. Für all jene, die den Weg zur Hauptsache gemacht haben, sind Differenzen und Widersprüche bei unwichtigen Regeln bedeutungslos. Aber pedantische, haarspalterische Geister können aus diesen Maulwurfhügeln wahre Mount Everests machen, was Theravādins oft getan haben. Die meisten Spaltungen innerhalb des Theravāda-Ordens sind auf Streitereien über den Vinaya zurückzuführen. Ursache dieser Uneinigkeiten waren charakteristischerweise außerordentlich unwichtige Themen, die über Jahrzehnte hinweg diskutiert wurden und oft zu Bitterkeit, Hass oder sogar zu Gewalt führten. Thanissaro sagt ganz richtig: "Obwohl Menschen dazu neigen, unterschiedliche Interpretationen des Dhamma zu tolerieren, tendieren sie, aus welchem Grund auch immer, bei unterschiedlichen Interpretationen des Vinaya, zu starker Intoleranz, die sich zu hitzigen Auseinandersetzungen steigern kann, wobei es meist doch um unwichtige Regeln geht." Aus welchem Grund auch immer! Nehmen wir etwas, was als provisorische Regel gedacht war, die auf ein bestimmtes Problem hinweisen sollte und wandeln es zu einem moralisch Absoluten um, dann behaupten wir, dass seine strikte Befolgung unerlässlich zum Erwachen ist, und es wird fast unvermeidlich, dass sich die Menschen darüber streiten werden. Im 13. Jh. kämpfte der ceylonesische König Parakramabahu II. mehrere Jahre lang gegen ausländische Invasoren und versuchte sein Land zu vereinigen. Als er letztlich obsiegte und sich selbst zum König ernannte, nahm er sich als Erstes vor, den Saṅgha zu vereinen. Dies erwies sich als viel schwieriger als all die Schlachten, die er zuvor geschlagen hatte, und das äußerte er auch voller Erbitterung. Er konnte noch nicht einmal die Mönche der verschiedenen Sekten dazu bewegen, sich zusammenzusetzen. Mit Hilfe von Drohungen, Bestechung und Zwang schaffte er es schließlich, sie zu vereinen, aber schon bald nach seinem Tod trennten sich alle wieder in streitende Splittergruppen auf. Der Ekamsika-Parupanu-Streit (Eine Schulter - Beide Schultern) im 18. Jh.. über die richtige Art, die Robe zu tragen, dauerte über hundert Jahre. Der Adhikamasa-Vadaya-Streit im Sri Lanka des 19. Jh. verwickelte sogar die religiösen Autoritäten und Monarchen von Burma und Thailand in den Streit und bezog sich auf ein Stück Holz, welches angeblich ein(e) Sīma ungültig macht. Dieser Streit wütete über 30 Jahre und wurde niemals richtig beigelegt. Ein weiterer Streit, der den singhalesischen Saṅgha weiter entzweite, ging u. a. aus Uneinigkeiten darüber hervor, wie man den Mönchen auf die richtige Art und Weise Essen anbietet. Das selbe Muster wiederholt sich in der Geschichte des Theravāda immer wieder. Mir wurde gesagt, dass sich einmal Schüler eines bestimmten berühmten thailändischen Lehrers, der jetzt auch im Westen populär geworden ist, weigerten an einer Zeremonie beizuwohnen, an der der König teilnahm, es sei denn, sie wurden entfernt von anderen Mönchen gesetzt, welche eine geringfügig von der ihren abweichende Vinaya-Praxis verfolgen.

Eine weitere Rechtfertigung für den Vinaya-Fundamentalismus ist, so Thanissaro, dass er "die Achtsamkeit und Umsicht in Bezug auf die eigenen Handlungen fördert, Qualitäten, die das Geistestraining beeinflussen." Hier wird behauptet, dass die Regeln zur mehr Achtsamkeit führen, ja gar selbst eine Meditationsform sind. Das stimmt, aber es ist auch richtig, dass man manche Regeln aufheben oder komplett andere Regeln befolgen könnte, und dies würde zu genauso viel Achtsamkeit führen. Es ist ebenso richtig, dass die Regeln auf eine übertrieben anspruchsvolle Art praktiziert werden könnten, bei der die volle Aufmerksamkeit auf die äußere Form und nicht auf die innere Transformation gelegt wird, und in Wirklichkeit passiert gewöhnlich genau das. Manche sagen, dass das strikte Befolgen der Vinaya-Regeln den Mönch vor Angst und Sorgen bewahrt, was wiederum der Meditation zuträglich ist. Nach dieser Anschauung ist jegliche Handlung des Mönches vorgegeben und er ist befähigt, sich in jeder Situation richtig zu verhalten und sich so auf die wichtigeren Dinge zu konzentrieren. Jeder, der einmal Zeit mit solchen fundamentalistischen Mönchen verbracht hat, weiß, wie falsch das ist. Einmal teilte ich mir das Zimmer mit einem australischen Mönch, der sehr streng nach dem Vinaya lebte. Als ich eines Tages ins Zimmer kam, fiel mir auf, dass er noch verdrießlicher war als sonst. "Was ist los?" fragte ich ihn und er antwortete "Ich war über ein Jahr lang unrein, ohne dies zu bekennen." "Welche Regel hast du denn gebrochen," fragte ich ihn. "Nissaggiya Pācittiya 18", antwortete er, das Verbot Gold oder Silber d.h. Geld zu berühren. Sein Geständnis verwunderte mich sehr, weil ich wusste, wie strikt er gerade diese Regel befolgte. "Aber ich sah dich nie gegen diese Regel verstoßen", sagte ich. Er ließ sein Kopf hängen und sagte: "Ich habe gegen diese Regel verstoßen, seitdem ich Mönch bin." "Wie, wann?" fragte ich. Er öffnete sein Mund und deutete auf eine goldene Zahnfüllung in einem seiner hinteren Backenzähne, an die er sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht erinnert hatte.

Eine Regel besagt, dass ein Mönch kein Saṅgha-Eigentum benutzen darf, ohne es zu verhüllen. Dies ist eine vernünftige Regel, aber wenn sie auf die zwanghafte Tendenz der Theravādins trifft, kann daraus ein ernsthaftes Problem werden. Ich kannte einen Mönch, auch Australier, der sich mit dieser Regel permanent quälte. Er war ein ruheloser Schläfer und es war unvermeidlich, dass sein Bettlaken morgens nicht mehr ordentlich war und sein Körper das Bett berührte, was bedeutete, dass er Saṅgha-Eigentum berührte. Auch wenn er nach dem Aufwachen feststellte, dass das Bettlaken noch ordentlich war, machte er sich darüber Sorgen, dass er während der Nacht das Bett berührt haben könnte. Eines Morgens war er so übernervös, dass man befürchten musste, dass er, wenn nicht ein anderer Mönch und ich bei ihm geblieben wären, Selbstmord begangen hätte. Ich möchte kurz zwei Dinge erwähnen, die mir noch an Vinaya-Fundamentalisten aufgefallen sind. Erstens scheinen sie eine höhere "Aussteigerquote" zu haben, als die eher 'laxen' Mönche. Zweitens, und das ist keine Überraschung für jeden, der mit Psychologie vertraut ist, dass diese Mönche, wenn sie ihre Robe ablegen, ausflippen oder, und das ist nicht ungewöhnlich, dem Buddhismus ganz den Rücken kehren. Zuerst das eine Extrem, dann das andere! Die beiden oben erwähnten Mönche haben bald darauf ihre Robe abgelegt. Der eine hat sich vehement gegen den Buddhismus gewendet, der andere verlor allmählich den Kontakt zum Buddhismus.

Für strenge Mönche ist es nicht ungewöhnlich, sich zum Verstoß von eher obskuren Regeln zu bekennen, auch wenn sie es gar nicht bewusst getan haben. Sie tun es einfach nur, um ihr Gewissen von der Angst zu befreien, sie unwissentlich gebrochen zu haben. Es wird erzählt, dass, als König Mongkut Mönch war, er sich fast 300 Mal immer wieder ordinieren ließ, weil er sich nicht ganz sicher war, ob die Ordinations-Zeremonie den Regeln entsprechend durchgeführt worden war und ob er darum ein 'richtiger' Mönch war. Vinaya-Fundamentalisten scheinen die meiste Zeit darauf zu verwenden, über unwichtige Details der obskuren Regeln nachzugrübeln, ständig nervös auf ihre Uhr zu schauen und sich hypothetische Szenarien auszudenken und sie zu diskutieren, welche möglicherweise Regelverstöße darstellen würden. Ein Thema, über das man diskutiert, kann z.B. sein, ob man gegen die Regel verstößt, nach Mittag zu essen, wenn man beim Zähneputzen Zahnpasta verschluckt. Ich hörte einmal einer Gruppe Mönchen zu, die darüber diskutierten, wie man berechnet, wann man nicht mehr essen darf, wenn man oberhalb des Polarkreises lebt, wo ja bekanntlich ein Tag mehrere Wochen dauern kann. Dann ist da noch die überaus wichtige Frage, ob der Mönch, der die gleiche Art von Stuhl wie die Laien im Raum benutzt, sich ein Taschentuch unterlegen darf, um so gegenüber den Laien eine erhöhte Sitzposition einzunehmen, oder ob dies nicht ausreicht. Ich habe von einem Kloster in Europa gehört, wo es in der Küche zwei Gefäße mit Honig gibt, eins mit 'Morgenhonig' und eins mit 'Nachmittagshonig' beschriftet. Der Grund für dieses eigenartige Arrangement ist folgender: Nissagiya Pācittiya 23 verbietet Mönchen, nachmittags zu essen, erlaubt es ihnen aber, nachmittags Honig zu sich zu nehmen. Wenn nun ein Mönch morgens Honig auf sein Toast streicht, könnte es passieren, dass ein winziger Brotkrümel in das Honiggefäß gelangt. Würde er sich nachmittags noch einen Löffel Honig gönnen, könnte die Gefahr bestehen, gegen die Regel nachmittags nicht zu essen, zu verstoßen, weil er unbeabsichtigt den kleinen Krümel mit verschlucken könnte. Um eine solche Katastrophe zu verhindern, wurde es so eingerichtet, dass es immer zwei Honiggefäße gibt, die an separaten Orten gelagert werden. Dass Arrangements solcher Art getroffen werden, zeigt, dass man sich den Regeln über alle Verhältnismäßigkeit hinaus beschäftigt. Weit davon entfernt das mönchische Leben zu erleichtern, führt die fundamentalistische Vinaya-Praxis gewöhnlich zu Ängsten, Schuldgefühlen und zu zwanghaftem Verhalten. Eine weitere Rechtfertigung für die strenge Vinaya-Praxis ist folgende: Wenn einem Mönch verboten ist, um irgend etwas zu bitten, könnte dies zu Akzeptanz und Egolosigkeit führen. Wieder könnte das richtig wahr sein, aber gewöhnlich scheint genau das Gegenteil zu passieren. Gewöhnlich werden sehr die Regeln beachtende Mönche sehr geschickt darin, genau das zu bekommen, was sie brauchen und unabhängig von den Regeln, ihrem eigenen Weg folgen. Es gibt viele Arten, die Klippen zu umschiffen - durch Andeuten, Anspielen, einen traurigen Blick, durch eine bestimmte Mimik und Gestik - und, wie wir unten sehen werden, hat der Theravāda eine ganze Kultur entwickelt, um die Regeln zu umgehen.

 

 

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